Briefe in die chinesische Vergangenheit
Wellenkleid auf ihrer Terrasse stand. Tatsächlich war dann später Frau Pao-leng auf dem Bildchen dargestellt, im Wellenkleid, obwohl sie es da längst schon gegen ein anderes eingetauscht hatte. Auch von mir gibt es schon solche Bildchen, und mehrmals habe ich Frau Pao-leng abgebildet, wie sie ganz nackt war. Ich denke, daß ich diese Bildchen mitnehmen werde, und dann kann ich sie Dir ja zeigen. Da dieses Kästchenbedienen und damit Bildermachen sehr einfach ist, werden auch von den unfähigsten Leuten solche Bilder hergestellt. Es ist wieder einmal so: nachdem es keine Kunst mehr ist, werden die unsinnigsten Gegenstände abgebildet. Frau Pao-leng zum Beispiel hat ein solches Bildchen – es ist mir zufällig in die Hände gefallen –, auf dem zu sehen ist, wie ihr vormaliger Ehemann mit einem Holzlöffel in einem Topf rührt. Wen kann so etwas schon interessieren?
In dem Kunst-Gebäude habe ich übrigens auch ein Gemälde gesehen, auf dem dargestellt ist, wie einem Menschen der Kopf abgehackt wird. Das veranlaßte mich, Herrn Te-cho nach den Strafen zu fragen, die in dieser Welt üblich sind. Dabei habe ich ganz eigenartige Dinge erfahren. Die Strafe des Kopf-Abhackens und überhaupt alles Strangulieren, Aufhängen und dergleichen ist vor nicht allzu langer Zeit in Ba Yan und in vielen Ländern abgeschafft worden. Auch einzelne Gliedmaßen werden nicht abgehackt, und es werden auch keine Verbrecher verprügelt. Werden denn Verbrecher überhaupt nicht bestraft? fragte ich. Doch, sagte Herr Te-cho. Es gibt aber, zumindest hier in Ba Yan und den vergleichbaren Staaten, nur noch zwei Arten von Strafen: für leichtere Verstöße gegen die Gesetze muß der Verbrecher Geld zahlen, für schwerere wird er in einen Kerker gesteckt, wo ihm sonst weiter nichts geschieht, wo er sogar ernährt wird.
Nun ist das ohne Zweifel eine edle und menschliche Gesinnung, die ich den Großnasen gar nicht zugetraut hätte. Wie Du weißt, habe ich immer schon den Standpunkt vertreten, daß durch strenge und grausame Strafen die Verbrecher nicht auszurotten sind, wie man ja lange Zeit und namentlich unter den Anhängern der »Rechtsschule« meinte. Durch grausame Strafen – so wenig wie durch großzügige Belehrungen – sind die Menschen noch nie gebessert worden. Ich fragte Herrn Te-cho, ob denn dank dieser humanen Behandlung der Verbrecher ein gutes Ergebnis erzielt worden sei oder ob nicht vielleicht gerade durch die milden Strafen die Verbrecher förmlich ermuntert werden, in ihrem Unwesen fortzufahren? Weder – noch, sagte Herr Te-cho. Soweit er sehe, sei alles gleichgeblieben, und es habe sich nichts geändert. Ich gestehe, daß mich das traurig macht, nicht, weil mir damit ein Argument gegen die grausamen Strafen aus der Hand geschlagen ist, sondern weil ich erkennen muß – wieder einmal –, daß die Menschen nicht zu bessern sind, ob sie nun als Großnasen hier leben oder als Menschen des Reiches der Mitte bei uns. – Belohnungen für Wohlverhalten, übrigens, sind völlig abgeschafft. Nur Strafen sind geblieben. Warum? Herr Te-cho staunte über meine Frage und sagte: von so einem Gedanken, daß der Staat nicht nur die Verbrecher bestrafe, sondern die Wohltuenden belohne, habe er noch nie gehört oder gelesen. Dieser Gedanke erscheine ihm völlig neu, und die Regierenden würden das als restlos abwegig empfinden.
Neulich bekam ich einen Brief. Er erreichte mich auf vielen Umwegen, und er stammt von einem jener gewerbsmäßigen Fürsprecher, von denen ich Dir schon berichtet habe. Auch dieser Brief, der mich anfangs sehr stark beunruhigte, veranlaßte mich über Belohnungen und Strafen nachzudenken. Du erinnerst Dich, daß ich Dir schilderte, wie ich unmittelbar nach meiner Ankunft hier in dieser Welt die erste unerfreuliche Begegnung mit einem A-tao-Wagen hatte. Heute kann ich mir den Vorgang von damals besser erklären. Ich ging ahnungslos und unbedacht über die Straße. Der A-tao-Wagen hätte mich überfahren, wenn er nicht versucht hätte, mir auszuweichen. Das aber gelang ihm nur, indem er gegen einen Baum fuhr, an dem er zerschellte. Der Fahrer des A-tao-Wagens stieß sich, wie ich jetzt weiß, ziemlich stark den Kopf an und mußte von einem Arzt behandelt werden. Der A-tao-Wagen war unbrauchbar geworden.
Durch vielfache Nachfrage und mühsame Ermittlungen erfuhr der inzwischen wieder genesene Herr meinen Namen und daß ich in diesem Hong-tel hier wohne. Er verlangt von mir einen neuen A-tao-Wagen. Dies schrieb mir
Weitere Kostenlose Bücher