Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
Vom Netzwerk:
entworfen hatte, sie aber ließ mich gar nicht zu Wort kommen, umschlang mich mit den Armen, drückte ihren Mund auf den meinen und befeuchtete meine Lippen mit ihrer Zunge (was unter Großnasen zwischen Mann und Frau als besonderes Liebeszeichen gilt) und hauchte mehrfach, daß ich ihr »lieber kleiner Mann aus Chi-na« sei.
    Sie sagte: sie sei sehr böse und ihr Herz sei voll von Trauer erfüllt gewesen. (Ich verstehe das zwar nicht: habe ich wegen Kleiner Frau Chung Frau Pao-leng auch nur ein einziges Mal weniger oder auch nur weniger zärtlich beglückt? Und verwechselt habe ich sie auch nie. Begreife das, wer mag. Ich habe mich aber natürlich gehütet, das zu äußern.) Sie lehnte die Geschenke ab, weil, so sagte sie, man solche Wunden der Seele nicht mit so eitlen Dingen heilen könne. Dann schaute sie aber den Ring näher an und nahm ihn und das Armband endlich doch. Die Blumen hatte sie schon vorher in eine Vase gestellt.
    Kleine Frau Chung habe ich inzwischen nicht mehr gesehen. Falls sie demnächst mit ihrem Eisernen Drachen wieder in Min-chen landen sollte, kriegt sie auch einen Ring und ein Armband und Blumen. Ich werde in Zukunft die gebotene Sorgfalt walten lassen.
    Der Aufenthalt in Ki-tsi-bü hatte für mich üble Nachwirkungen: ich wurde krank. Das hatte aber wiederum den Vorteil, daß ich mit der Heilkunst der Großnasen in Berührung kam, von der ich ja bisher nichts erfahren habe. Schon am Abend, als ich aus Ki-tsi-bü zurückkam, fieberte ich und klapperte mit den Zähnen. Ich blieb im Bett und rief den Kammerdiener des Hong-tels, damit er einen Arzt rufe. Der Arzt kam dann – er hieß Do-qto – und befühlte unwirsch meinen Puls. Er stellte eine Frage, die ich nicht verstand. Sie lautete: » Kasse oder privat? « – »Kao-tai«, sagte ich, »ich stamme aus dem fernen Reich der Mitte, und ich schätze mich glücklich, daß ich durch diese wahrscheinlich völlig unbedeutende Krankheit in die Lage versetzt werde, Ihre die Mittagssonne überstrahlende Heilkunst in Anspruch nehmen zu dürfen…« Er unterbrach mich müde und brummte nur wieder: »Das ist mir mit Hackfleisch gefüllter Rindsdarm, woher Sie sind, ich will wissen: Kasse oder privat? «
    Ich war mir im Klaren darüber, daß diese Frage auf einen Ritus abzielt, der vor der Behandlung geklärt werden mußte, und daß der Arzt nicht bereit war, vor dieser Klärung in die Behandlung einzutreten. Wie sollte ich mir helfen? Mir schmerzten der Kopf und die Augen, und ich war völlig geschwächt, und dann kommt er mit seinen Ritualen.
    »Was wäre einer Hohen Leuchte der medizinischen Wissenschaft lieber? Und was ist der Unterschied zwischen Kasse und privat? «
    »Sie leben scheint’s hinterm Mond –« (wie oft habe ich diese Redewendung schon gehört?) »– Kasse ist eben Kasse und privat ist privat. Natürlich ist mir privat lieber. Bei Kasse kriegen Sie ein Ap-si-ling –« (das ist offenbar ein Medikament) »– bei privat untersuche ich Sie wirklich.«
    »Privat«, hauchte ich.
    »Warum nicht gleich«, sagte er. Dann schaute er mir in den Hals, klopfte gegen meine Knie, horchte mit einem Gerät aus Eisen an meiner Brust und sagte: »Kli-pe.« Er schrieb etwas auf einen Zettel, reichte ihn mir, klappte seine Tasche zu und stand auf.
    »Sie gehen?« fragte ich.
    »Natürlich«, sagte er, »was sonst?«
    »Sie bleiben nicht bei mir, bis ich gesund bin?«
    Da begann er so dröhnend zu lachen, daß ich fürchtete, das Haus stürze ein. Mir wurde schwarz vor den Augen, und als ich wieder etwas klarer sah, war der Arzt weg. Was auf dem Zettel stand, den ich immer noch in der Hand hielt, konnte ich nicht lesen. Eine Beschwörungsformel? Ich weiß es nicht. Ich legte ihn unters Kopfkissen und ließ mir durch den Diener ein heißes Getränk aus ausgepreßten Zitronen bringen. Nach zwei Tagen war ich wieder gesund.
    Ich ziehe die Lehre daraus: auch hier ist es besser, wenn man nicht krank wird. Und: in medizinischer Hinsicht werden die Menschen in zwei Kategorien eingeteilt: Kasse -Menschen und privat -Menschen. Es scheint günstiger zu sein, zu letzteren zu gehören. –
    Morgen gehen Herr Shi-shmi und ich wieder in die öffentliche Tanz- und Gesangsaufführung ›Das Land, in dem man immer lächelt‹. Herr Shi-shmi wollte mich bewegen, in eine andere Tanz- und Gesangsaufführung zu gehen, aber ich will zu gerne nochmals jene sehen, selbst wenn ich vor Lachen Krämpfe kriegen sollte.
    So grüße ich Dich, lieber Dji-gu, und bin Dein ferner,

Weitere Kostenlose Bücher