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Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
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wenngleich geheimen wissenschaftlichen Zweck, und um der Wissenschaft, überhaupt der Erkenntnis schlechthin zu dienen, darf man nichts verschweigen. Es gibt gewisse Funktionen unseres hinfälligen und mitnichten vollkommenen Körpers, die, im tatsächlichen und übertragenen Sinn, anrüchig sind. Ich brauche nicht mehr zu sagen. Im Gefängnis war ein Kübel vorhanden, dessen Zweck war klar. Einige Tage lang plagte mich – wohl hervorgerufen durch die Aufregung – eine Verstopfung, mein altes Leiden. Ich bedurfte keiner Gelegenheiten, mich zu erleichtern. Kleinere diesbezügliche Anlässe befriedigte ich bei Gängen zum Kontaktpunkt oder ähnlichem. Als sich hier in der geruhsamen Wohnung bei Herrn Shi-shmi mein Darm wieder auf seine Aufgabe besann, stellte sich mir aber das Problem – und zwar, muß ich zugeben, auf sozusagen äußerst dringende Weise …
    Nie hatte ich Herrn Shi-shmi beobachten können, wie und wo er dieses Problem löste 7
› Hinweis
. Als es sich mir stellte, war ich allein zu Hause. Ich war verzweifelt und lief – durch immer dringenderen Anlaß gepeinigt – durch die Wohnung. Ich fand keinen Kübel, der mir zweckentsprechend schien. So kam ich zwangsläufig zu dem Schluß, daß die Leute hier diese anrüchige Sache außerhalb der Wohnung erledigten. Ich lief auf die Zentraltreppe. Ich hatte natürlich nicht mehr die Muße, mir den An-tsu anzuziehen. Die Dame (als solche kenne ich sie, weil ich sie schon mehrmals mit einem roten Schirm gesehen habe), die irgendwelche Befehlsfunktionen ausübt, der vielleicht sogar das ganze Haus gehört, denn ich sehe sie öfters mit beschwörenden, wohl rituellen Gesten kniend auf der Zentraltreppe, gleichzeitig salbt sie sie mit einem Lappen, desgleichen schreit sie deutlich lauter als alle anderen Bewohner, und die Kinder fürchten sie – diese hochmögende und vielleicht sogar hochstehende Dame befand sich wieder einmal auf der Treppe. Sie schaute mich, da ich mein normales Gewand und nicht den An-tsu anhatte, befremdet an. Um sozusagen meine Normalität zu demonstrieren, hatte ich, wenn ich schon meinen An-tsu nicht trug, wenigstens noch meinen Schirm ergriffen. Ich floh vor der Dame die Zentraltreppe hinauf. Ganz oben wohnt, wie ich wußte, niemand mehr. In einer Ecke spannte ich meinen Schirm auf und setzte mich dahinter.
    So handelte ich fürderhin regelmäßig. Ich glaubte es in der Ordnung. Herr Shi-shmi wunderte sich zwar sichtlich, als er mich ab und zu mit dem Schirm – auch wenn es nicht regnete – aus der Wohnung verschwinden sah, aber unsere gegenseitige Verständigungsmöglichkeit war zu der Zeit noch nicht so weit gediehen, daß ich ihn – oder er mich – über einen solchen Gegenstand, den man sittsamerweise nicht mit einem groben Wort benennt, sondern umschreibt, aufklären konnte.
    Eines Tages aber tauchte dort oben, während ich gerade hinter meinem Schirm saß, jene Dame auf.
    Sie erhob sehr laute Klage.
    Sie rannte zu Herrn Shi-shmi hinunter und stimmte auch vor ihm eine laute und sehr lange Klage an. Ich muß Herrn Shi-shmi wiederum aufs innigste loben. Er verteidigte mich. Während die Dame einen Gesang anstimmte, der dem Gebrüll von Tigern und Leoparden glich, dem Donner ähnlich, der die Erde zerreißt, während sie nach oben zeigte und Herrn Shi-shmi mit sich zerren wollte, winkte mir Herr Shi-shmi – der allen Grund gehabt hätte, mir zu grollen – und deutete mir an, daß ich hinter ihm vorbei in die Wohnung zurückschlüpfen sollte. Die Dame, blind von ihrem eigenen Donner, sah das gar nicht. Herr Shi-shmi übergab sodann der Dame einen kleinen grünen Brief, worauf sie etwas weniger laut, dafür aber rascher klagte. Erst nach einem weiteren solchen Brief verstummte ihre Klage, und die Dame verzog sich nach oben. Herr Shi-shmi schloß die Tür. Ich muß gestehen, daß ich schuldbewußt war wie ein Schüler, der etwas falsch gemacht hat und nicht weiß, was. Aber Herr Shi-shmi – wie wärmte mir das mein Herz – lächelte. Er führte mich in das kleinste Zimmer seiner Wohnung (dessen Zweck mir bis dahin unklar gewesen war) und zeigte mir eine Art in Porzellan gefaßter Quelle. Er ging in die Küche, holte eine Handvoll Schalen des Apfels, den er kurz vorher gegessen hatte, und warf sie in die Quelle. Dann zog er an einer dünnen Kette – ich erschrak: ein gewaltiges Rauschen ertönte, und ein starker Wasserstrom riß die Schalen mit sich.
    Nun – so weiß ich also, wie man sich dessen, was zu Zeiten den Leib

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