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Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
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durcheinanderbringt. Aber wenn der Himmel nicht einstürzt bei der ganzen Unordnung, die ich in der Welt der Großnasen sehe, stürzt er auch wegen dieses eigenartigen Kindes nicht ein, denke ich mir.
    Nein, nein, sagte Frau Pao-leng, sie bekäme kein Kind. Ob sie unfruchtbar sei? fragte ich. Nein, sagte sie. Sie nehme da auch eine Pille.
    Ja – so ist das. Nicht nur gegen ihre Seelenkrämpfe nehmen die Großnasen Pillen, sondern auch, um keine Kinder zu bekommen. Ich habe mir dann natürlich die Kind-Verhinderungs-Pille zeigen lassen. Sie ist sehr klein und weiß und wird nicht an jener Stelle von der Dame eingenommen, die Du vielleicht in dem Zusammenhang vermutest, sondern mit dem Mund.
    Da nun unbestreitbar das Kindergebären für das Weib eine gewisse Unannehmlichkeit bedeutet, wie ich mir habe sagen lassen, könnte man denken, daß, da es die Großnäsinnen mit dieser kleinen Pille so leicht verhindern können, überhaupt kein Weib mehr ein Kind zur Welt bringt. Das ist aber offensichtlich nicht so, denn ich sehe ja Kinder herumlaufen. Auch darüber befragte ich Frau Pao-leng. Es sei so, antwortete sie mir, daß sich das Problem verlagert habe, in zweifacher Hinsicht. Die Höherstehenden, mit Verstand ausgestatteten Frauen, aber auch die pfiffigen, die sich ihre Unabhängigkeit bewahren wollen (eine Vorstellung, die wir nur schwer begreifen können), oder aber auch Konkubinen und die Entkleidungskünstlerinnen sowie Tänzerinnen und dergleichen bekommen keine Kinder oder nur ganz, ganz wenige, und die eher aus Irrtum, weil sie einmal vergessen haben, die kleine weiße Pille zu nehmen. Mehr Kinder bekämen die Weiber der niedrigeren Volksschichten. Es gäbe natürlich Ausnahmen, so kenne sie, sagte sie, einen überaus gebildeten Mann mit einer sehr klugen Frau, und die hätten viele Kinder, sieben, glaube sie, oder neun. Sie habe ihn nie gefragt, aber sie nehme an, daß der betreffende Mann, ein hoher Gelehrter mit unsterblichen Verdiensten um die Musik, einfach sehr gerne Vater sei. Das gäbe es, aber die Regel sei das nicht. Im Übrigen habe die Sache auch religiöse Hintergründe – das erklärte sie mir auch, aber hier würde das jetzt zu weit führen.
    Überhaupt, fuhr Frau Pao-leng fort, sei es aber schon so, daß hier in Ba Yan und in den angrenzenden Ländern immer weniger Kinder zur Welt kämen, denn hier sei die Bevölkerung reich und es gäbe das magnetische Licht aus Drähten und vielfache Unterhaltung für das Volk. Wo es das nicht gäbe – Frau Pao-leng bezeichnete die betreffenden Gegenden mit dem nicht auf den ersten Blick einleuchtenden Namen »die dritte Welt« –, kämen viele Kinder zur WeIt, viel zu viele, so viele, daß schon fast kein Platz mehr da sei, und vor allem nichts zu essen, dort in den Gegenden.
    »Gehört das Reich der Mitte, Chi-na, wie du es nennst, auch zu den Gegenden, die du als die dritte Welt bezeichnest?« fragte ich. »Ja und nein«, sagte sie. Das sei schwierig.
    »Gut«, sagte ich. »Warum aber, wenn dort in jenen Gegenden sich die Leute schon so vermehrt haben, daß sie sich gegenseitig auf den Füßen stehen (groß genug sind ja ihre Füße, das sagte ich aber nicht, dachte es nur, denn Frau Pao-leng hat, unter uns gesagt, für unsere Begriffe viel zu große Füße) und wenn sie dort schon anfangen, einander aufzuessen, was einen gewissen Ausgleich zur unerwünschten Vermehrung bilden würde, aber doch letzten Endes auch keine Lösung ist, warum aber reisen die Leute von dort nicht zu euch hierher, wo ihr noch genug Platz und auch genug zu essen habt?«
    »Aus dem einfachen Grund«, sagte Frau Pao-leng, »weil die Leute das dort nicht wissen.«
    »Und ihr bindet es ihnen auch nicht auf die Nase?« fragte ich.
    »So ist es«, sagte sie.
    Aber es wird wohl nicht ganz so sein. Ich werde versuchen, der Sache noch auf den Grund zu gehen. Vielleicht frage ich Herrn Yü-len-tzu danach.
    Jedenfalls hat auch Frau Da-ch’ma keine Kinder. Sie gehört also zu den gebildeten Damen, die sich ihre Unabhängigkeit bewahren wollen, was immer das bei einem Weib auch sein mag. Sie empfing uns sehr freundlich. Das Essen war passabel. Der Mo-te Shang-dong war richtig gekühlt. Wir sprachen angeregt, und ich fühlte mich wohl, wenngleich einige kleine Statuen, ein Teppich und verschiedene andere Dinge, die herumstanden, mich unbehaglich an buddhistische Symbole erinnerten.
    Einige Zeit nach dem Essen schlug Frau Da-ch’ma vor, wir sollten doch in den Schwitzkeller gehen. Ich

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