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Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
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Seelen-Wissenschaft nachgelesen. Mein Kompliment über den Busen sei darauf zurückzuführen, daß mir wahrscheinlich in zarter Jugend meine Amme die Brüste beim Stillen zu früh entzogen habe. – Was die nicht alles weiß, dachte ich mir. – Und außerdem solle sie mir ausrichten, sagte Frau Pao-leng, daß Frau Da-ch’ma meine Seele so interessant finde, daß sie bereit sei, sie ohne finanzielle Kosten für mich zu untersuchen. Ich solle bald kommen. Das werde ich, denke ich, natürlich bleiben lassen.
    So grüße ich Dich also mit zärtlichen Empfindungen für Dich, meinen Freund,
    Dein alter Kao-tai

Einundzwanzigster Brief
    (Montag, 28. Oktober)
    Mein überaus lieber Freund.
    Ich danke Dir für Deinen schönen und erfreulichen Brief. Daß Du Dir die Mühe gemacht hast, die ganzen zweiundneunzig Gedichte auf das Zeit-Reise-Papier zu kopieren, rührt mich, aber es wäre nicht notwendig gewesen. Außerdem ist das Zeit-Reise-Papier kostbar, und es ist wünschenswert, daß Du es für wichtigere Mitteilungen aufsparst, als es die Kopien der Gedichte der Ehrwürdigen Mitglieder der kaiserlichen Dichtergilde »Neunundzwanzig moosbewachsene Felswände« sind. Zweiundneunzig Gedichte! Davon allein neunzehn von Herrn Kuang Wei-fo! Dabei habe ich vor meiner Abreise verfügt, daß für den herbstlichen Poesiewettbewerb höchstens zwei pro Ehrwürdigem Mitglied eingereicht werden dürfen. Was sich dieser Kuang Wei-fo dabei nur denkt? Neunzehn Gedichte! Und alle so lang. Das soll ich alles lesen … Dieser Kuang Wei-fo ist schon einer der penetrantesten Lyriker, der mir je untergekommen ist. Wenn der nicht immer vorn dran ist und immer überall dabei, wird er unausstehlich. Dafür hat, wie ich sehe, der faule Ku Kua-sheng wieder einmal überhaupt kein Gedicht eingereicht. Wahrscheinlich ist er nicht fertig geworden. Das hat immerhin den Vorteil, daß ich das Geseiere nicht lesen muß, aber eine grobe Ungehörigkeit ist es doch. Was habe ich nur verbrochen, daß mich der Himmelssohn mit der ehrenvollen Aufgabe der Präfektur dieser Hochehrwürdigen Dichtergilde betraut hat? Lieber würde ich die kaiserliche Pekinesenzucht beaufsichtigen oder die Düngung der Staatsfelder. Ich werde Dir zu gegebener Zeit meine Entscheidung über den Preis für das beste Gedicht mitteilen. Es hat ja noch gute Weile.
    Daß der Vizekanzler endlich in der Heiratssache seines Sohnes mit meiner Tochter einlenkt, freut mich. Es soll alles tunlichst beschleunigt werden. Wenn ich nächstes Jahr, wie ich hoffe: gesund und wohlbehalten, zurückkehre, möchte ich, daß der erste Enkel gefälligst schon unterwegs ist. Sage ihm das in gebührender Zartheit. Andernfalls bin ich so unhöflich, ihn zu meinen Großen Ahnenopfern nächstes Jahr nicht mehr einzuladen, oder ich setze ihn auf einen ganz schlechten Platz. Welche Tochter hast Du ausgewählt? Der Name Kao-fa sagt mir nicht viel. Ist es die mit den großen Ohren? Die hat sie von ihrer Mutter. In meiner Familie hat nie einer so große Ohren gehabt.
    Gedichte aber bitte, schicke mir keine mehr. Wenn der faule Ku Kua-sheng doch noch eins abliefern sollte, so schicke es ihm mit dem Vermerk zurück, daß die Einlieferungsfrist abgelaufen ist. Zweiundneunzig Gedichte! Mein ewiger Himmel. Es gibt zu viele Leute, die Gedichte schreiben. Ich sage Dir: neulich habe ich wieder einmal mit Herrn Shi-shmi ein längeres, sehr angenehmes Gespräch gehabt. Aus der Sicht der Großnasen hier auf unsere Zeit hat man den Eindruck, daß wir nichts Besseres zu tun hatten als Hekatomben von Gedichten zu verfassen. So stehen wir in den Augen der Nachwelt da!
    Daß ich mit Herrn Shi-shmi dieses längere Gespräch hatte, es ist schon ein paar Tage her, hatte aber natürlich einen anderen Grund. Er holte mich hier im Hong-tel zu früher Stunde ab, denn er führte mich zu einer Gerichtsverhandlung, damit ich die Rechtspflege in diesem Staat kennenlerne, die ja schließlich ein wichtiger Bestandteil des öffentlichen Lebens ist.
    Wir frühstückten zunächst hier im Hong-tel zusammen, dann marschierten wir los. Das Gerichtsgebäude ist nicht weit entfernt. Dabei handelt es sich nicht um jenes Gebäude, in dem ich gezwungenermaßen die erste Nacht meines hiesigen Aufenthaltes zubringen mußte. Jenes ist das Polizeigericht, dieses, in das wir heute gingen, ist das Große Stadtgericht von Min-chen.
    Jener Richter, der ein Freund von Herrn Shi-shmi ist, derjenige, der mich ganz zu Anfang an ihn verwiesen hat, ist nur am Polizeigericht

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