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Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
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erstauntes Gesicht über meine Frage.
    »Tagaus, tagein?« wiederholte ich.
    »Acht Stunden am Tag«, sagte der Abgesandte, »aber zwei Tage in der Wo-’che (jener Sieben-Tage-Zyklus der Großnasen) sind frei, dazu drei oder vier ganze Wo-’chen im Jahr.«
    »Das ganze Leben?« fragte ich.
    »Na ja«, sagte der Abgesandte, »schon das ganze Leben. Hier oder in einer anderen Schmiede. Aber sie bekommen auch viel Geld dafür. Viel zuwenig zwar nach ihrer Meinung, aber viel zuviel nach Meinung des Erhabenen Schmiede-Verwalters.«
    Ich fragte noch viel und bekam viele Antworten. Aber der Kopf dröhnte mir nach den zwei Stunden. Danach sprachen wir noch eine Stunde mit dem Erhabenen Schmiede-Verwalter. Ich fragte ihn, ob ihm die Schmiede gehöre. Er lachte, und sagte: so eine Schmiede sei viel zu groß, als daß sie nur einem einzelnen allein gehören könne. Wem sie dann gehöre? fragte ich. Das könne man gar nicht beantworten, sagte er. In seinem Gesicht war zu lesen, daß er meine Frage für dumm hielt.
    Wir verabschiedeten uns. Es war inzwischen später Nachmittag geworden. Es regnete noch immer, mit Schnee vermischt. Es war dunkel. Die Arbeit in der Schmiede hörte auf. Die Leute, die gearbeitet hatten, strömten aus dem Tor. Gegenüber befand sich ein großes, freies Feld, auf dem eine unübersehbare große Menge von A-tao-Wagen stand. Jeder Schmiede-Sklave schlich, müde, wie er war, zu einem der A-tao-Wagen und fuhr weg. Jeder hat einen solchen Wagen, sagte Herr Yü-len-tzu. Es gab ein unglaubliches Gewühl. Zwei rumpelten aneinander und beschimpften sich dann. Das gibt, dachte ich mir, einen Prozeß bei Herrn Richter Me-lon.
    Da sehen also diese Leute nichts als den Ruß und Schmutz den ganzen Tag, abends fahren sie im Gewühl mit ihren A-tao-Wagen zwischen anderen A-tao-Wagen, dann verkriechen sie sich in ihren Häusern aus gegossenem Stein, in denen sie ihre großnäsigen Frauen erwarten, trinken Rindsmilch oder Hal-bal … kann man sich ein freudloseres Leben denken? Es ist nicht zu verwundern, daß ihnen der Sinn für die Schönheit und das Bewußtsein vom Zusammenhang der Dinge geschwunden ist. Ich bin weit davon entfernt, der Lehre des alten Mo-ti anzuhängen, der behauptet, jeder könne sich ernähren, wenn er sein eigenes Gärtlein bebaue und im Übrigen die allgemeine Liebe übe. Das geht nicht, wie auch wir längst wissen, aber hier – was ich hier gesehen habe in dieser Schmiede, das kann nur zum Chaos des Geistes führen. Dabei ist diese Schmiede, die ich heute besichtigt habe, sagt mir Meister Yü-len, eher eine kleine. Selbst in Min-chen gäbe es solche, die sich zu der verhalten, wie diese zu einem Betrieb, wie wir ihn kennen. Und die größte Schmiede in Min-chen ist klein gegen Schmieden in einem gewissen Gebiet weiter nördlich, wo ganze Landstriche praktisch eine einzige Schmiede sind, oder gar jene, die in jenem Land Am-mei-ka aufgebaut sind, wo sich ganze Schmiedestädte in ewigem Rauch und Qualm aneinanderreihen. Es habe Zeiten gegeben, sagte Meister Yü-len, da habe man diese Schmieden als Triumph des Fortschreitens bejubelt. Inzwischen, sagte er, bekäme man Zweifel. Er fürchte aber, fuhr er fort, daß diese Zweifel zu spät kämen.
    Bald, so habe ich das Gefühl, habe ich alles gesehen, was diese unordentliche Welt zu bieten hat. Ich werde zurückkehren. Lang dauert es nicht mehr. Was bringe ich mit? Nicht viel, höchstens die Erkenntnis, daß es sich nicht lohnt, die Zukunft zu kennen.
    Die poetischen Ergüsse der »Neunundzwanzig bemoosten Felswände« habe ich noch nicht gelesen. Bitte, verschone mich mit Drängeln in dieser Hinsicht, und lasse auch Du Dich von den Dichtern nicht drängeln. Ich habe hier so viel zu tun, daß ich nicht dazu komme, so eine Hekatombe von Gedichten zu lesen. Wenn Du wüßtest, was für Mühe es macht, es so einzurichten, daß sich Dame Pao-leng und Kleine Frau Chung nicht begegnen. Grüße die Dichter, sie sollen sich noch gedulden. Grüße aber vor allem meine Shiao-shiao: ich kehre bald zurück
    Dein Kao-tai

Fünfundzwanzigster Brief
    (Dienstag, 26. November)
    Geliebter Dji-gu, alter Freund.
    Vorweg also endlich, damit Ruhe eintritt: ich habe die Gedichte gelesen. Ich fahre tausend Jahre durch die Zeit und sitze hier im Zimmer eines Hong-tel in einer chaotischen Zukunft an einem feuchten und regnerischen Novembernachmittag, ich werde mir nasse Füße holen jetzt dann, wenn ich zum Kontaktpunkt eile, um diesen Brief zu hinterlegen, und alles nur, um

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