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Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
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ein Trommler. Das Orchester wird geleitet von einem Musik-Meister, sagte mir Herr Shi-shmi, der jedoch vorerst noch nicht sichtbar war und erst nach einiger Zeit die Bühne betrat. Ein unbeschreiblicher Lärm überraschte mich wieder einmal. Ich war der Meinung, ich sei längst an die Lärmfreude der Großnasen gewöhnt, aber es gelingt ihnen immer wieder, mich mit Lärmbekundungen zu unerwarteter Zeit zu überraschen. Während der Musik-Meister – er hieß Hai-ting, stammt aber nicht aus dem Reich der Mitte – die Bühne und dort wiederum ein kleines Podest betrat, klatschten die Großnasen wie wild in ihre Hände. Da auch Frau Pao-leng und Herr Shi-shmi so klatschten, tat ich es ebenfalls. Es gilt das als Ovation. Meister Hai-ting verbeugte sich artig, dann drehte er ganz unhöflich dem Publikum den Rücken zu und drohte den Musikern mit einem Stock. Sie ließen es sich ohne weiteres gesagt sein und begannen zu spielen. Offenbar sind die Musiker so undiszipliniert, daß der Musikmeister die ganze Zeit über, und manchmal sogar sehr wild fuchtelnd, mit dem Stock drohen mußte, damit sie nicht zu spielen aufhörten. Nach dem ersten Stück (das aus zwei Teilen bestand) trat eine Pause ein, in der wir – und alle anderen auch – in ziemlichem Gewühl im Vorraum des Saales auf- und abgingen. Wir tranken aber auch ein Gläschen Mo-te Shang-dong; das wird dort an einer Theke verkauft. Das Stück, das nach der Pause gespielt wurde, bestand aus vier Teilen. Danach wurde wieder geklatscht. Die Musiker standen auf, Meister Hai-ting verbeugte sich mehrmals, dann gingen alle nach Hause.
    Die Musik, die Herr Shi-shmi in kleinem Kreis seiner Freunde spielt, gefällt mir besser. Die Orchester-Musik klingt mir zu großnäsisch, das heißt: vor allem zu laut. Das gilt namentlich für das Stück nach der Pause. Der jüngst-verstorbene Meister Sho-ta-ko-wi hat, sagt Herr Shi-shmi, über ein Dutzend solcher »Himmlischer Zusammenklänge« geschrieben. Was ich hörte, war Nummer fünf. Es klang für meine Begriffe sehr kriegerisch, nur der dritte Teil war verhaltener und getragener. Das Stück vor der Pause – auch Meister Shu-we hat, obwohl er im Alter von nur einunddreißig Jahren verstorben ist, mehrere »Himmlische Zusammenklänge« verfaßt – war angenehmer. Es handelte sich dabei um den achten seiner »Himmlischen Zusammenklänge«, den er unvollendet hinterlassen hat, weswegen von den eigentlich vorgeschriebenen vier Teilen zwei fehlen.
    Ich möchte versuchen, diesem Stück gerecht zu werden, obwohl es für mich schwer ist, schwerer als bei der intimen Musik der »Göttlichen Vierheit«, denn hier verwirrte mich die Vielzahl der gleichzeitig erklingenden Töne, gespielt von den verschiedensten Instrumenten. Herr Shi-shmi schätzt das Werk außerordentlich. Ich vermag die Harmonien in dieser Wirrnis der Töne nicht zu erkennen, obwohl ich nicht zweifle, daß ich es lernen würde. Es wird wohl das einzige sein, worum es mir leid tut, wenn ich diese Welt wieder verlasse: daß ich diese Harmonien zu erkennen nicht werde erlernen können. Es bleibt nicht die Zeit.
    Dieser »Himmlische Zusammenklang« Nummer acht vom Meister Shu-we besteht aus einem etwas bewegteren und einem recht langsamen Teil. Daß die Töne im Herzen der Menschen entstehen, wie es im ›Yüeh Chi‹ des ›Li Chi‹ heißt, ist namentlich im langsamen Teil dieses Werkes offenbar. An einigen Stellen verspürte ich eine innige Vereinigung mit dem Geist des Meisters Shu-we, der lang nach mir geboren werden wird und doch vor mir gestorben ist. Ein Geheimnis ist in seinen Tönen, ganz anders als in den Tönen des in anderer Weise unvergleichlichen We-to-feng. Meister We-to-feng muß man achten – Meister Shu-we kann man lieben. Hätte ich das alles vorher gewußt, hätte ich vielleicht meinen Zeit-Reise-Kompaß so eingestellt, daß ich in die Welt Meister Shu-wes gekommen wäre. Vielleicht wäre ich ihm begegnet. Vielleicht hätte er auch mich geliebt. Dem Meister We-to-feng wäre ich aber, so grenzenlos ich ihn bewundere, eher aus dem Weg gegangen.
    Aber ich wende mich von der Musik wieder ab; vielleicht interessiert Dich das auch gar nicht so sehr, denn Du fragst nie danach, was ich empfinde, Du fragst danach, wie diese Welt und deren Staatswesen beschaffen sind. Und damit hast Du auch recht, denn das ist der Zweck meiner Reise. Anders wäre sie vor der Lehre unseres großen Meisters K’ung nicht zu verantworten.
    Ich gestehe, daß ich manchmal, namentlich,

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