Brigade Dirlewanger
»Hauptsache, wir erfüllen unsere Pflicht … jeder an seinem Platz!«
Oberst Prinz nickt grimmig.
»Wann fahren Sie?« fragt Dirlewanger unvermittelt.
»Morgen, wahrscheinlich«, entgegnet der Polizeioffizier. »Ich möchte doch noch einen Versuch machen«, setzt er dann hinzu. »Ich will die Sonderbrigade noch einmal sehen, aber geschlossen … heute nachmittag …«
»Aber bitte«, antwortet der Standartenführer und holt mit der Hand weit aus. »Müller-Würzbach!« ruft er dann seinen Spieß. »Sie stehen Herrn Oberst wieder zur Verfügung, wenn er Sie braucht …«
»Jawohl, Standartenführer!«
»Danke«, antwortet Prinz knapp. »Und nun entschuldigen Sie mich bitte.«
Dirlewanger sieht dem Polizeioffizier nach.
»Den mach' ich noch fertig«, knurrt Oscha Weise neben ihm.
»Wozu?« erwidert der Standartenführer belustigt. »Ich glaube, wir haben wichtigere Aufgaben … Das ist doch ein Schwätzer … ein Quacksalber … Der gehört zur Heilsarmee!«
»Oder zu den himmlischen Heerscharen«, versetzt Weise und grinst mit den Schneidezähnen.
Der Polizeioffizier geht in das Büro, das man ihm zur Verfügung stellte. Er braucht die Akte P.A./IX DORA nicht zur Hand zu nehmen, er hat sie im Kopf. Sie ist unter den vielen Ungeheuerlichkeiten Dirlewangers nur eine, aber eine, die er belegen kann, wenn er Glück hat …
Der Fall ist ein Jahr alt.
Damals plünderte sich das Sonderkommando quer durch Polen. Knapp hinter der früheren Demarkationslinie, unweit eines kleinen Dorfes, schlägt Dirlewanger sein Hauptquartier auf. Es ist nicht viel los. Der damalige Sturmbannführer läßt seine Leute schleifen und geht auf die Jagd. Einer der B-Soldaten brennt in einem Keller Schnaps schwarz. Das Zeug schmeckt scheußlich, aber sie trinken es, bis sie umfallen, der Alkohol löscht sogar die Unterschiede zwischen Stammpersonal und B-Soldaten. Viele von der ›ersten Garde‹ sind ohnedies nicht übriggeblieben.
Es ist eine Nacht, in der ein betrunkener Uscha die Kirche anzündet und ein anderer Scherge die Feuerwehr mit der Peitsche vom Löschen abhält. Es ist eine Nacht, in der die Hunde bellen und die Kinder weinen, Schüsse fallen und Frauen kreischen. Es ist eine Nacht, in der Dirlewanger drei Kilometer entfernt, völlig betrunken, den Brand goutiert …
Die Frau, die sich am nächsten Tag beim Chef des Sonderkommandos meldet, ist einunddreißig Jahre alt. Aber sie sieht aus wie vierzig, denn die Kriegsjahre zählen dreifach in ihrem Gesicht.
Und sie mündeten in die letzte Nacht. Die Frau spricht fließend deutsch. Was sie vorbringt, ist so ungeheuerlich, daß man ihren Akzent überhört.
»Sieben Soldaten …«, sagt sie. »Sie haben Nadja aus dem Schlaf gerissen … Sie ist neun … ein Kind noch …« Die Mutter schlägt die Hände vor das Gesicht. »Und sie haben sie …«
»Alle sieben?« unterbricht sie Dirlewanger.
Die Frau nickt. Ihr Blick ist hohl. Ihre Augen sind leergewaschen von den Tränen.
»Schweinerei!« flucht der Sturmbannführer. »Erkennen Sie die Burschen wieder?«
Die Mutter nickt.
»Lassen Sie antreten!« fährt Dirlewanger Müller-Würzbach, seinen Spieß, an. »Alle … auch die Innen-Dienstler … und das Stammpersonal!«
Zehn Minuten später meldet Müller-Würzbach die Vollzähligkeit.
»So«, sagt Dirlewanger zu der Frau, »und nun suchen Sie die Leute …« Er geht mit ihr an der Front entlang.
Zuerst ist der Frau schwindlig. Dann denkt sie an Nadja, an ihr Kind, das halb tot, zerschlagen, verstört, vielleicht für immer, zu Hause im Bett liegt, zur Decke starrt und kein Wort spricht … Nadja, deren Gesicht sich dann plötzlich verkrampft und die dann schreit, laut, gellend, fürchterlich, röchelnd … immer das gleiche Wort: »Nein … nein … nein!«
»Der«, sagt sie und deutet auf einen rothaarigen B-Soldaten mit Sommersprossen. »Der«, erkennt sie den Nachbarn. »Der«, bleibt sie vor einem SS-Rottenführer stehen, einem Günstling, der an ihr vorbeischaut, holt ihn hervor, findet in der nächsten Rotte den vierten, schließlich den fünften und den sechsten.
Dann bleibt sie vor einem siebten stehen, betrachtet ihn genau, den Kerl mit der fliehenden Stirn, mit den unsymmetrischen, stets pendelnden Augen, mit der dicklichen Unterlippe, den geschorenen Haaren.
Die Mutter zaudert. Sahen sie nicht alle so aus, als sie sich über Nadja stürzten? Sie liest die Angst in den ungeraden Augen des B-Soldaten. Die Augen eines Tieres, die
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