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Brigade Dirlewanger

Brigade Dirlewanger

Titel: Brigade Dirlewanger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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betroffen, merkt, wie der Zugführer ins Leere starrt, und schleicht sich fort wie ein Dieb.
    Gar niemand? gärt es durch Vonweghs Bewußtsein, hallt es schmerzlich in ihm nach. Wozu das alles? möchte er sich fragen. Für einen Menschen wollte er leben – gegen ein System mußte er kämpfen. Ist das ein Ersatz?
    Gibt es überhaupt einen Ersatz für Karen, die Frau, die er gefunden, verloren und wieder gefunden hatte, um sie festzuhalten – ohne es zu können?
    Es ist alles gut gegangen, sagten sie sich damals, als Paul Vonwegh von der Besprechung mit Karens Vetter zurückgekommen war. Sie redeten es sich gegenseitig ein, weil sie es glauben wollten und doch keine Hoffnung hatten.
    Das alles dauerte nur eine Ewigkeit von ein bis zwei Tagen. Dann hatte sie die Situation gar gekocht.
    »Ich bin gleich wieder da«, sagte Karen, »ich muß nur mal um die Ecke …«
    Vonwegh nickte und sah ihr zerstreut nach. Sie war federnd jung und rührend schmal. Am liebsten wäre er ihr nachgestürzt, um sie an sich zu ziehen. Auf dem Tisch standen Blumen. Ihr schwerer Duft roch nach Abschied. Es war zu spät dafür. Er hatte Karen schon in den Fall mit hineingezogen. Ihr Vetter Wulf-Dieter Brillmann war kein Denunziant, sonst wären sie nicht mehr zusammen gewesen.
    Karen kam zurück. Ihr Gesicht war gerötet. Sie sagte nichts. Aber er erriet, daß sie von der Telefonzelle aus mit dem beziehungsreichen Staatsanwalt gesprochen hatte. Sie hantierte geschäftig in der Küche herum. Er folgte ihr. Sie merkte es, drehte sich erschrocken um.
    »Es fällt dir schwer … diese Erklärung zu unterschreiben?« fragte das Mädchen unvermittelt.
    Er nickte.
    »Du sollst nichts tun … was du nicht …«
    Vonwegh winkte ab. Jetzt erst begriff er, woher die Unschlüssigkeit der letzten beiden Tage kam. Er war zu feige, den Propagandaunfug zu unterschreiben, und er war nicht mutig genug, es nicht zu tun. Er wollte alles behalten und sich nichts vergeben. Und das war schlechthin unmöglich.
    Er reichte Karen die Erklärung. Sie las sie durch, begriff fast nichts davon, außer daß es ihn ekelte.
    »Unterschreibe das nicht«, sagte sie, während ihre Augen bettelten: Tu es doch … mir zuliebe.
    »Was hat er gesagt?« fragte Vonwegh hart.
    »Es sei alles in Ordnung«, erwiderte Karen, »nur wäre es besser, wenn du diesen Wisch da unterschreiben würdest … bevor du dich stellst …« Sie sah an ihm vorbei und fügte hastig hinzu: »Damit es mehr nach freiem Willen aussieht …«
    Er nahm den Füller und unterschrieb mit einem Ruck in steilen Buchstaben.
    Karens Augen glänzten. Mit femininer Logik sagte sie: »Schick's noch nicht ab … Überleg es dir noch einmal …«
    Es war später Nachmittag. Sie sprachen nicht mehr darüber.
    Als es dunkel wurde, machte sich Vonwegh auf den Weg. »Ich werfe das in den Briefkasten«, sagte er.
    Sie hatten kein Licht gemacht. Er spürte Karens Lächeln, ohne es zu sehen. Kein Mensch kann mir das verübeln, dachte er, ich bin nicht unkonsequent, jeder muß mich verstehen …
    Er ließ den ersten Briefkasten aus. Auch den zweiten. Am dritten blieb er stehen, holte mit spitzen Fingern den Umschlag hervor. Auf der Briefmarke war das Bild des Mannes, gegen den er gekämpft hatte und immer kämpfen würde. Vonwegh steckte den Brief wieder zurück in die Tasche. Es war ein letzter Aufschub.
    Er ging weiter. Die Luft war kühl. Etwas von der Traurigkeit des Herbstes schwang mit. Karen, dachte er, als er auf das Haus zuging. Den Brief hatte er vergessen. Er sah hinauf. Das Licht brannte. Gleich in zwei Zimmern. Er erschrak. Er war hellwach. Er näherte sich dem Haus von der anderen Seite. Er ging so nahe heran, daß er hörte, wie der Hausverwalter zu seiner Frau sagte: »Ich hab' doch gewußt, daß mit den beiden etwas nicht stimmt … Spionage, stell dir vor …«
    Paul Vonwegh wußte genug. Karen war verhaftet worden, er nur durch einen Zufall entgangen. Sie würden auf ihn warten und das Mädchen als Geisel benutzen. Wulf-Dieter, der ehrgeizige Staatsanwalt, hatte sich entpuppt: Er war ein Schwein.
    Karen war ihr Faustpfand. Er mußte sich stellen. Er wirkte fast erleichtert, als er es begriffen hatte. Er sah noch einmal nach oben. In diesem Moment gingen die Lichter aus. Er wußte, daß ihnen das Warten zu lange dauerte. Er postierte sich schräg gegenüber vom Haus und hatte den vor der Tür parkenden grünen Polizeiwagen im Blick. Ein paar Minuten später sah er mit eigenen Augen, daß er recht

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