Brigade Dirlewanger
»ich seh' schon, Vonwegh, Sie bringen's bei mir weit …«
Es nützt nichts, der Nebel im Kopf wird nicht breiter. Noch erstickt Dirlewanger nicht im Morast. Aber er, Paul Vonwegh, steht auf dem hauchdünnen Eis seiner Gunst, und das heißt: Ein Wort zu viel, ein Lacher zu spät, ein Befehl zu früh, ein unbeherrschter Blick, und er geht unter.
Ich habe es in dieser Mordbrigade zu etwas gebracht, denkt Vonwegh und steht auf, um sich auszukotzen.
Das Licht ist aus. Die Baracke VIII schläft unruhig. Petrat, der Frauenmörder, röchelt, als hätte er den Hals in der Schlinge, wohin er gehört. Kordt, der Junge, führt unverständliche Selbstgespräche. Kuberg, der Neue, spinnt Fluchtpläne. Kortetzky, der Gorilla, beißt eine Scheibe von der Sonderration ab, die er sich morgen besorgen will.
Vonwegh, der Zugführer, fehlt; er ist ins Schloß kommandiert. Heute haben sie keine Angst um ihn, denn er erhält sicher eine Belobigung, und die dürfte ausreichen, um sich noch im Schatten der Gunst zu sonnen. Sie alle wirken erleichtert. Der rundliche Müller mit der Nickelbrille denkt wieder an zu Hause. Kirchwein, der Epileptiker, zittert nicht vor dem nächsten Anfall.
Einen der Baracke VIII muß diese Mauer erschlagen: Wulf-Dieter Brillmann, Karens Vetter und Vonweghs Verräter. Vor Wochen noch ein Stück Allmacht im Reichssicherheitshauptamt, heute durch einen grausamen Zufall in die Hände seines Todfeindes gespielt.
Ich muß ihm zuvorkommen, überlegt der ehemalige Staatsanwalt, ich muß etwas unternehmen, unverzüglich, bevor er mich erledigt. Und wenn er erst das wirkliche Geschehen um Karen erfährt … Der neue B-Soldat verflucht sich und seinen Leichtsinn.
Sein Verhängnis begann mit einer lächerlichen Geschichte, einer Art Kameradschaftsabend, an dem jeder über den Durst trank, geselliges Zusammensein mit Damen, deren eine ihm zu gut gefiel-Falscher Zungenschlag und dann versuchter Übergang zum Nahkampf, wie sie es alle machten, wie sie es immer taten, die Herrenmenschen nach Dienstschluss.
Pech.
Wulf-Dieter Brillmann war an die Frau des Falschen geraten. Der Falsche machte Krach. Noch war es nicht schlimm. Der Bindestrich hatte Freunde, Gönner im RSHA: Heydrich mochte ihn, und Himmler war er schon aufgefallen …
»Gehen Sie für ein paar Wochen an die Front«, riet ihm der Gruppenführer, »dann ist Gras über die Geschichte gewachsen … und wir rufen Sie zurück … Sie brauchen ohnedies ein bißchen Lametta, wenn Sie hier den Krieg überwintern wollen …«
Brillmann reichte ihm die Hand. Sie lächelten beide. Man hatte sich verstanden. Acht Tage Urlaub noch, dann wurde der höhere Beamte des RSHA zwecks üblicher Frontbewährung in Marsch gesetzt. Er landete bei einer Infanterieeinheit der Waffen-SS, meldete sich und hatte zum zweiten Mal Pech.
Der Kompaniechef, ein Hauptsturmführer, war ein bulliger Haudegen, der ›Papierkrieger‹ à la Brillmann nicht ausstehen konnte. »Sie wollen sich bewähren?« fragte er anzüglich.
»Jawohl, Hauptsturmführer … Ich bin Ihnen für sechs Wochen zugeteilt.«
»Dann müssen wir uns beeilen«, erwiderte der Mann und grinste, »wenn Sie noch was vom Krieg sehen wollen … Ich schicke Sie heute abend auf Spähtrupp … mit drei anderen … Sie haben eine große Chance, es ist sehr neblig …«
Die große Chance begann um dreiundzwanzig Uhr. Die drei anderen Soldaten fluchten herzhaft über das aufgelegte Himmelfahrtskommando. Sie wurden in das Niemandsland gelotst. Von jetzt ab brauchten sie Mut und Schwein. Sie sollten die Kampfstärke der gegenüberliegenden Feindeinheiten ausmachen und nach Möglichkeit einen Russen gefangen nehmen. Es ging ganz gut. Sie liefen, einer hinter dem anderen, in die Milchsuppe. Brillmann starb vor Angst. Bei jedem Schritt wurde es schlimmer. Auf einmal war er der letzte. Plötzlich haute er sich hin, um den Anschluss zu versäumen. Er mußte nur noch zurückkommen, dann hatte er das scheußliche Abenteuer überstanden.
Er schaffte es.
Eine Stunde später meldete er seinem Kompaniechef, er habe die anderen drei im Nebel verloren. Der Hauptsturmführer machte kurzen Prozess: Ein Telefonat mit dem Divisionskommandeur, der Burschen aus der Zentrale auch nicht übertrieben schätzte, und der Mann aus dem Reichssicherheitshauptamt war Schütze Arsch bei Dirlewanger.
Ein paar Tage, hatte sich Brillmann getröstet, dann holt mich die Prinz-Albrecht-Straße hier wieder heraus. Aber bis dahin hat mich dieser
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