Bring mich heim
getrunken hätte. Die halb volle Wasserflasche gab sie mir zurück. Sie zitterte fürchterlich. »Danke«, flüsterte sie, während ihr Blick zu Boden gerichtet war.
»Sieh mich kurz an, bitte. Ich möchte sehen, dass es dir gut geht.« Nur ziemlich zögerlich hob sie ihren Kopf und ich konnte in das smaragdgrüne Meer ihrer Augen eintauchen. Sie hatte Tränen darin. Angst war darin manifestiert.
»Was ist hier passiert?«, fragte ich ein weiteres Mal. Ich machte mir tatsächlich Sorgen um sie.
Sie machte einen lauten Seufzer. »Ich ... es war mir wohl nicht besonders gut. Kein Frühstück, vergessen zu trinken.« Ihr steifer Körper und ihr angespannter Kiefer verrieten mir, dass das nicht die ganze Wahrheit war. Ich wollte Mia jedoch nicht noch mehr auf den Nerv gehen, ich tat es bestimmt schon zur Genüge. Somit nickte ich ihr einfach zu und beließ es vorerst dabei. »Okay, Hauptsache ist, du bist wieder da.« Ich stand auf, hob die Taschen auf. »Komm, wir haben einen Zug zu erwischen.« Ich reichte ihr meine Hand, um ihr aufzuhelfen, aber sie versteckte ihre beiden hinter dem Rücken und lächelte mich an. Gut konnte sie ein Lächeln wirklich nicht nachmachen. Mit wackeligen Beinen hievte sich Mia hoch. Ich machte einen Schritt zu ihr, damit ich sie stützen oder auffangen konnte. Doch schnell hielt sie sich am Waschbecken fest, bis es ihr nicht mehr schummrig war. Besorgt sah ich zu ihr. Aber sie blickte nicht her, sondern hielt ihre Augen trainiert auf dem Boden.
»Geht schon«, hauchte sie, streckte ihre Hand aus. »Kann ich bitte meinen Rucksack haben?« Ich gab ihn ihr. »Danke«, sagte sie in selbigen Ton. Sie holte tief Luft und sah schließlich hoch. Ihr Gesicht entspannte sich. »Danke, dass du nach mir schauen gekommen bist.«
»Gern geschehen.«
Wir gingen nebeneinander schweigend zum Bahnsteig. Ich wollte Mia jetzt nicht mehr aus den Augen lassen. Es ging ihr nicht gut, auch wenn sie der Meinung war, oder mich oder die ganze Welt davon überzeugen wollte, dass es ihr gut ging. Nur konnte sie scheinbar nicht gut lügen. Ihre Körpersprache verriet sie zu sehr.
»Warte einen Moment. Ich hol uns noch einen Kaffee. Die letzten können wir wohl vergessen.« Mia deutete ein Ja und ging mit mir zur Bäckerei. Sie kramte in ihren Hosentaschen und reichte mir einige Münzen.
»Lass gut sein. Es ist ja nur Kaffee.«
Sie bedankte sie abermals mit einem einfachen, geflüsterten Danke.
Wir kamen gerade rechtzeitig, als der Zug einfuhr. Mia stieg als Erste ein und suchte sich einen Platz am Fenster. Vor der Sitzreihe blieb ich stehen, sah ihr einen kurzen Moment zu, wie sie es sich bequem machte.
»Stört es dich, wenn ich mich dazusetze?« Sie beäugte mich. Sie schien mit sich selbst zu kämpfen, welche Antwort sie mir jetzt geben sollte. Nervös biss sie an ihrer Unterlippe. Verdammt, das war sexy. Und sie hörte nicht damit auf. Wenn ich noch länger darauf starrte, würde ich sie anfallen. Ich musste mich beherrschen.
»Setz dich einfach.« Autsch, das klang nicht gerade einladend. Ich sah Mia fragend an. Sie deutete mit dem Kopf auf die freien Sitze ihr gegenüber.
Kapitel 22
Mia – Gemeinsam
Richtung Rom, Juni 2012
Ich versank erschöpft in diesem Zugsitz. Meine Schuhe zog ich mir aus und Musik spielte wieder in meinen Ohren. Dass er jetzt vis-à-vis von mir saß, war mir so ziemlich egal. Ich war nach wie vor von der Situation auf der Toilette geschockt. Ich hatte nur ein weiteres Mal so einen Blackout oder Schockzustand, wie auch immer man das nennen wollte. Anfang des Jahres wusste ich nicht, dass mich die Berührung meiner Narbe in diese Situation versetzen konnte. Mittlerweile wusste ich es. Deshalb war es auch niemandem erlaubt, nur nahe diesem Schnitt zu kommen. Außer es geschah. So wie eben.
Vielleicht war es gut, dass ich in diesen Zustand versetzt wurde. Dieser ekelhafte Mann verschwand auf der Stelle, als ich zu Boden ging. Meine Knie wurden weich und ich knallte auf die Fliesen. Mein Kopf brummte von dem Aufprall. Das gab eine riesengroße Beule. Bevor der Schock komplett meinen Körper beherrschte, sah ich seine Beine, wie er aus der Toilette flüchtete. Dann war ich weg.
Niemand anderer als Samuel Winter fand mich. Jetzt musste ich meine Gedanken über ihn noch mal neu sortieren. Vielleicht war er nicht der Arsch, wie ich immer dachte. Er war viel zu freundlich, um das alles zu machen. Und oh, wenn er einfach nur freundlich wäre. Nein, er sah viel zu gut aus. Ich
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