Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See
stürzte der Störenfried mit erhobener Faust auf ihn los. Niemand vermochte genau zu sagen, was danach geschah; ob der Bursche gestolpert und sich den Kopf angeschlagen hatte oder ob ihn ein unsichtbarer Feind niederstreckte. Fest stand nur, dass er aus toten Augen gen Himmel starrte, als man ihn aufhob.
»Hexerei!«, ertönte ein Tuscheln, doch nur leise, und niemand erhob die Hand, um Merlin Einhalt zu gebieten, als er vor Uther hintrat.
Der Fürst war unter der Sonnenbräune erbleicht, doch er war keiner, der eine Gelegenheit leichtfertig ungenutzt ließ.
»Der Tod kann einen überall ereilen«, sprach er mit fester Stimme. »Marschiert mit mir, und wenn ihr sterbt, dann wenigstens für etwas, nicht auf der Flucht. Jeder, der die Rute steif genug kriegt, um ein Kind zu zeugen, sollte auch das steife Rückgrat haben, es zu beschützen. Marschiert mit mir, und eure Söhne und Töchter werden in ihrem eigenen Land aufwachsen!«
Uthers Blick traf jenen Merlins, während die Tuschelnden untereinander zu reden begannen. »Jetzt erkenne ich Euch. Ihr wart Vitalinus’ Seher. Kommt mit mir zum Kaiser.«
»Ich biete Euch meine Dienste an.«
»Ich hoffe, Ihr dient uns besser als ihm«, sprach Uther, doch hinter dem Kummer in seinen Augen schimmerte eine Hoffnung, die zuvor nicht da gewesen war.
Nördlich von Sorbiodunum stieg das Land zu einer breiten Ebene hin an. Selbst in friedlichen Zeiten war es karg besiedelt gewesen, nun lag es nahezu völlig verwaist da. Aber Geister flüsterten im Wind. Mittlerweile gibt es hier noch mehr Geister, dachte Merlin und schaute zu den geschlossenen Karren, die des Kaisers Männer den Pfad vom Schrein herauftrieben. Er fühlte die Geister der britischen Fürsten, die über jenen vermischten Fragmenten aus Asche und Gebeinen schwebten.
War Aurelianus bewusst, was die Erfüllung dieser Aufgabe – der ersten, die der Kaiser befohlen hatte – Merlin kosten würde? Für andere Menschen mochte Sorbiodunum, das sich von Schlachten entstellt zeigte, aber dennoch einige Überreste früheren Glanzes erkennen ließ, ein vom Feind zurückeroberter Ort wie jeder andere sein. Für Merlin hingegen war das Volk der Toten zahlreicher als das der Lebenden; zudem spürte er sie stärker, und der Geist des Mannes, den er selbst einst verkörpert hatte, war der Schlimmste von allen.
In Sorbiodunum vor den Kaiser zu treten war hart gewesen. Mit ihm zu dem Schrein am Rand der Ebene zu reiten, wo Hengest die Fürsten hingemetzelt hatte, erwies sich als noch härter. Rings um die runden Hütten, in denen die Mönche lebten, entstand ein Militärlager. Mittlerweile nannte man den Ort Ambrosiacum oder Ambrosius’ Hügel.
Die Sachsen hatten den Rieddach-Unterschlupf über den Leichnamen verbrannt, und wenn auch die Mönche Gebete für sie gesungen hatten, besaßen sie doch keine Grabstätte. Und so hatte Aurelianus verfügt, dass die Fürsten ein Grabmal erhalten müssten. Es zu erschaffen war Merlins Buße, zugleich die erste Probe seiner Weisheit.
Einer der Reiter an der Spitze hob die Lanze und deutete damit. Uther trieb sein Ross neben Merlins.
»Wo ist der Ort?«
Das flache Tal, das der Fluss Abona durch die Ebene geschürft hatte, fiel hinter ihnen ab. Vor ihnen erstreckte sich Gras- und Heideland zu einer von gelegentlichen Baumgruppen durchbrochenen Hügelreihe hin. Merlin wies ihm die Richtung.
»Seht Ihr diese Ausbuchtung, etwa eine Meile entfernt? Das ist der erste Grabhügel, obwohl derlei alte Heiligtümer über die gesamte Ebene verstreut sind. Aber diese bilden eine Linie, die zurück nach Sorbiodunum weist und sich nördlich entlang des Rückgrats Britanniens erstreckt. Von Osten nach Westen führt eine weitere Linie durch den Tanz der Riesen und verbindet ihn mit der Insel aus Glas, die ebenfalls einen Ort uralter Macht darstellt.«
Zum ersten Mal, damals noch als Kind, war er während eines Besuchs des Vor-Tigernus in Sorbiodunum mit Mogantius hier gewesen. Zu jener Zeit hatte ihn die weitläufige Ebene gleichermaßen geängstigt wie begeistert, was auch nun der Fall war.
»Was habt Ihr meinem Bruder erzählt, um ihn zu bewegen, hierher zu kommen?«, wollte Uther wissen.
Beide schauten zurück zu der Pferdesänfte, in der Ambrosius Aurelianus nachfolgte. Der Kaiser war bedeutend älter als sein Bruder, und mitunter schmerzten seine Gelenke so höllisch, dass ihm das Reiten zu schwer fiel. Mit seinem Verstand jedoch war alles in Ordnung.
»Ich habe ihm erzählt, dies sei
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