Britannien-Zyklus 01 - Die Herrin vom See
behauptete, Gott hätte die Stürme gesandt, um den Feind aufzuhalten, bis sie ihn einholten. Er war, wie Merlin beobachtete, ein guter Anführer, bereit, auf Ratschläge zu hören, wenn Zeit dafür war, und mit dem Mut zur raschen Entscheidung, wenn keine Zeit dafür war. Und er verlangte seinen Männern nichts ab, was er nicht selbst tat.
Im Verlauf des Feldzugs lernte Merlin auch die anderen Anführer kennen: Gaius Turpilius, dessen Familie ein blühendes Anwesen nahe Venta Silurum besaß und immer noch an den römischen Traditionen festhielt; Eldol von Glevum, der Jüngere, ein entfernter Vetter des Vitalinus, der in dem Bestreben, seinen Vater zu rächen, stets die gefährlichsten Kämpfe wählte; und Gorlosius von Cornovia, ältester Sohn und Erbe des Gerontius, der in Dumnonia herrschte.
Igraines Gemahl.
Merlin beobachtete ihn eingehender als die anderen und fand wenig, das er mochte, dafür viel, was Bewunderung verdiente. Auch er focht verbissen, wenngleich seine Gnadenlosigkeit eher dem Zorn darüber zu entspringen schien, dass es jemand wagte, sich ihm in den Weg zu stellen. Wäre Merlin je in den Sinn gekommen, Igraine mehr als die Liebe eines Verwandten entgegenzubringen, das Wissen um seine eigenen Wurzeln hätte es verhindert; doch der Gedanke, dass sie, obschon einer Königin gleichwertig, mit diesem überheblichen Kleinkönig vermählt war, trieb ihn zur Weißglut.
Sie marschierten durch ganz Demetia und kämpften sich die Küste entlang nach Gwenet, bevor die Wolken sich aufzulösen begannen und sie wieder klaren Himmel sahen.
Als sie an jenem Abend das Lager aufschlugen, waren die einzigen Überreste des Sturms ein paar lichte, rot lodernde Wolkenfetzen am Himmel. Merlin, der bei Regen für gewöhnlich seine Lederkleidung in einer Truhe verstaute und nur mit dem Leinenfetzen um die Lenden weiterging, rieb gerade eine wunde Stelle, wo die feuchte Satteldecke die Haut seines Ponys aufgeschürft hatte, mit Salbe ein, als er plötzlich einen Schrei hörte. Doch es war nicht die übliche Warnung vor einem herannahenden Feind. Er drehte sich um und sah, dass die Männer gen Himmel deuteten.
Die Hälfte dieser Männer waren vor dem Krieg Schafhirten gewesen. Sogar die Bauern unter ihnen waren gewöhnt, die Jahreszeiten zu bestimmen, indem sie den Himmel absuchten. Merlin selbst beobachtete ihn regelmäßig, seit Mogantius es ihm im Alter von zehn Jahren beigebracht hatte. Er brauchte kaum mehr als einen Lidschlag, um zu entdecken, was sie bestaunten – ein strahlender Lichtpunkt im Südosten, wo sich zuvor kein Stern befunden hatte. Eine Stunde lang war er am Himmel sichtbar, dann versank er allmählich zwischen den Bäumen.
In der nächsten Nacht erstrahlte er noch heller und zog einen verschwommenen Lichtschemen hinter sich her. Merlin erklärte ihnen, es sei ein Komet, der oft bedeutsame Ereignisse ankündigte. Doch er war immer noch im Steigen begriffen. Sie mussten warten, bis er seine volle Pracht erreicht hatte, ehe sie versuchen konnten, herauszufinden, was er verheißen mochte.
Die drei folgenden Nächte blieb der Himmel bedeckt. Die Combrogi marschierten weiter nach Norden, konnten es kaum erwarten, den Feind endlich zu stellen. Vom verbrannten Holz der geplünderten Gehöfte stieg immer noch Rauch auf, folglich konnte der Feind nicht mehr weit vor ihnen sein.
Am nächsten Tag kam ein Wind auf, der die Baumwipfel hin und her peitschte und die Wolken vom Himmel fegte. An jenem Abend schlugen sie das Lager früh auf und wählten dafür eine Anhöhe mit freiem Blick gen Süden. Merlin legte eine Tunika aus weißer Wolle an, die Aurelianus ihm geschenkt hatte. Auf seine Magie hatte dies keinerlei Einfluss, doch er würde Vertrauen erweckend wirken, wenn er wie ein Druide aussah. Mittlerweile war er selbst ebenso begierig darauf zu erfahren, was der Komet zu bedeuten hatte. Aber seine Neugierde war mit Furcht vermischt.
Als das Tageslicht verblasste, steigerte sich die Spannung. Merlin empfand die Besorgnis der Männer wie einen immer stärker werdenden Druck, der auf ihm lastete, und versuchte seinen Geist dagegen abzuriegeln. Sein Unbehagen ließ nach, doch in selbem Maße auch seine Gabe, die leisen Ströme des Universums wahrzunehmen. Mit gerunzelter Stirn wählte er einen guten Aussichtspunkt auf dem Hügel und zog einen Kreis aus Kräutern um sich. Nicht einmal Uther würde es wagen, diesen Kreis zu durchqueren, und als Merlin ihn schloss, fühlte er die Anspannung abklingen.
Er
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