Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben
vertreten.
Weniger Begeisterung zeigte Rigana, als sie davon erfuhr. Gewiss, es war der Vor-Tigernus Vitalinus gewesen, der ihres Großvaters Reich verschenkt hatte, nicht Uther, doch obwohl es keinen Mann aus diesem Geschlecht mehr gab, dem Cantium zustünde, gab Rigana dem Hause Ambrosius die Schuld daran, es nicht wieder der britischen Herrschaft unterworfen zu haben, und Artor verübelte sie, dass er Oesc als dessen König bestätigt hatte.
Es war sinnlos darauf hinzuweisen, dass sie, wären die Sachsen nie gekommen, vermutlich bereits in jungen Jahren mit irgendeinem Fürsten irgendwo in Britannien verheiratet worden wäre, wohingegen sie nun fortan Königin in ihrem eigenen Land sein würde. Allmählich verstand Oesc die Braut, die er aus den Hügeln mit nach Hause gebracht hatte. Mutig war sie und leidenschaftlich, doch Logik zählte nicht zu ihren Tugenden.
»Edel die Frau, die zur Hochzeit er führt«, sang Andulf.
»Tochter von Königen, kühn ist ihr Herz,
Strahlend schön wie der Tag ist der Anblick
Der Herrin, die den Herrn mit dem Lande vereint.«
Das gefiel ihr bestimmt, dachte Oesc. Artor hatte den Ehevertrag für sie unterschrieben, und nun schnitt er Fleisch vom Braten, der soeben aufgetischt worden war. Während er die Scheiben auf ihren Teller legte, lächelte sie. Sollte ihm das zu denken geben, fragte sich Oesc.
Als er sie beobachtete, entdeckte er keine Anzeichen von Koketterie in Riganas Zügen, doch in Artors Augen vermeinte er Wehmut zu lesen. Die Frage einer Heirat des Hochkönigs war schon häufig der Mittelpunkt angeregter Gespräche gewesen, aber obschon zahlreiche Maiden für die hohe Ehre ins Gespräch gebracht worden waren, schien Artor sich nie die Zeit genommen zu haben, um ein Mädchen zu werben. Niemand wusste zu sagen, ob Artor eine heimliche Liebe gefunden hatte.
Oesc glaubte zwar nicht an eine geheime Geliebte, dennoch war Artor kein kaltherziger Mensch. Sollte er sich dereinst verlieben, dann mit ganzer Seele.
Nicht um meine Braut sollte ich mir Sorgen machen, dachte Oesc, sondern um meinen König.
Er sah, wie Ceredics Tochter Alfgifu sich näherte. Sie trug das große, silbergefasste Auerochsenhorn voll Met. Andulf schlug einen letzten Akkord an und beendete seinen Gesang.
Rasch kehrte Oesc an seinen Platz neben Rigana zurück, als Artor das Horn entgegennahm.
»Ich habe die Ehre, als Erster einen Trinkspruch auf das Paar auszubringen. Jede Ehe ist ein Vorbote der Hoffnung, denn durch sie nimmt das Leben seinen Fortgang. Doch vor allem diese Hochzeit erfüllt mich mit großer Hoffnung für die Zukunft, denn der Bräutigam, der einst mein Feind war, ist ein Freund und Verbündeter geworden, und die Braut, eine Frau meines eigenen Volkes, verkörpert die lebendige Verbindung zwischen der alten königlichen Linie und der neuen. Es kommt stets einem Wunder gleich, dass zwei so verschiedenartige Wesen wie ein Mann und eine Frau in Harmonie miteinander leben können.« Er setzte ab und ließ das unterdrückte Gelächter gewähren. »Aber wenn es Oesc und Rigana gelingt, besteht Hoffnung, dass auch Briten und Sachsen in Frieden miteinander leben können.
Dies also ist mein Wunsch für das Brautpaar: dass so, wie sie ihr Leben miteinander teilen, sich auch unsere Völker verbinden. Und sollten sie nicht immer in vollkommenem Einklang leben«, abermals wartete er, bis das aufkeimende Gelächter verstummte, »dann wünsche ich ihnen, dass ihre Streitigkeiten rasch beigelegt werden und dass aus ihrer Vereinigung neues Leben entspringen möge!«
Er drehte das Horn behutsam herum, sodass die Spitze nach unten wies, hob es an die Lippen und nahm einen tiefen Schluck, ohne einen Tropfen zu verschütten. Dann gab er es Alfgifu zurück, die es zunächst zu Aelle, danach zu Ceredic und den anderen Häuptlingen trug.
Die übrigen Segenswünsche erwiesen sich als herkömmlicher, wobei der Zeugung starker Söhne besonderer Nachdruck verliehen wurde. Oesc hörte sie kaum. Sein pochendes Herz erinnerte ihn daran, dass die Feier alsbald zu Ende gehen und es an der Zeit sein würde, Rigana vollends zu seiner Frau zu machen.
Nachdem die Trinksprüche geendet hatten, geleiteten die Frauen Rigana in die Halle, um sie für das Brautgemach vorzubereiten. Während ihre Gesänge in der Ferne verhallten, wurde das Gelächter der männlichen Gäste lauter, nun waren sie von den bislang eingehaltenen Regeln des Anstandes befreit.
»Trinkt ordentlich, Herr«, schlug Wulfhere vor und
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