Britannien-Zyklus 03 - Die Herrin von Camelot
den Berg hinauf schaffst, sollte es mir auch gelingen.«
»Sicher…«, gab Igraine mit einem gezwungenen Lächeln zurück. Sie sollte diesen Nachmittag besser am See entlangwandern und in sich gehen, dachte sie bei sich, um ihren Geist vor dem Ritual von Zorn zu befreien.
»Herrin des dreifachen Pfades,
Herrin vom silbernen Rund,
Du schenkst uns die Träume des Rates,
Schicksale tust du uns kund.«
Leise und sanft hallten Frauenstimmen über das Wasser, während die Prozession auf dem Pfad entlang des Ufers folgte.
»Herrin der schimmernden Scheibe,
Herrin vom heiligen Ort,
Heiligkeit ist deine Bleibe,
Hilfe und Heil gibt es dort.«
Der Atem ging zunehmend schwerer, als der Pfad sich vom See abwandte und sich den Hügel emporzuwinden begann, trotzdem sangen die Priesterinnen weiter. Das von Bergen umringte Eiland im See beherbergte mächtige Magie, aber wenn der Vollmond über jene Höhen aufstieg, stand die Magie hoch am Himmel. Die Priesterinnen hatten eine Weide auf dem Osthang geweiht, von wo aus sie beobachten konnten, wie er sich über den Horizont erhob, um ihn zu ehren.
Igraine spürte, wie das Blut in ihren Adern zu pulsieren begann, als die Anstrengung sie erwärmte; sie lächelte. Everdila trat den Marsch nicht mehr an, sie selbst hingegen vermochte immer noch mit den jüngsten ihrer Priesterinnen Schritt zu halten. Vielmehr war es Morgauses Antlitz, dass sich vor Anstrengung rot verfärbte, während sie den Hügel erklommen.
»Herrin der leuchtenden Sterne,
Herrin im funkelnden Meer,
Du sendest aus himmlischer Ferne
Und aus den Tiefen dein Heer.«
Endlich erreichten sie den Gipfel. Schwarz erstreckten ihre Schatten sich über das Gras, als die Sonne hinter ihnen unterging. Im Norden verhing immer noch eine Wolkenbank den Himmel, im Osten aber präsentierte er sich klar und zartrosa.
Igraine hörte, wie der rasselnde Atem ihrer Tochter sich beruhigte, während sie einen Kreis um den Steinblock bildeten, der im Gras lag. Irgendein längst vergessenes Volk hatte Becher- und Ringsymbole in die Oberfläche gemeißelt. In einigen stand immer noch ein wenig Wasser vom morgendlichen Regen.
»Herrin des blutroten Mondes,
Herrin der fließenden Brust,
Allzeit sich wandelnd du thronest,
Da in der Bewegung du ruhst.«
Nacheinander bückten sich die Frauen, wenn sie an dem Stein vorübergingen, berührten mit der Fingerspitze das Wasser und segneten sich, wobei sie auch Bauch, Brust und Stirn berührten. Igraine spürte, wie ihre Kniegelenke sich beschwerten, als sie an der Reihe war. Kurz verdunkelte sich ihre Sicht, als sie sich wieder aufrichtete, aber sie behielt das Gleichgewicht und bewegte sich weiter.
Sie musste über sich selbst den Kopf schütteln, denn ihr war klar, wäre Morgause nicht da gewesen, hätte sie kurz innegehalten, um zu Atem zu gelangen, nachdem sie oben am Hügel angekommen war.
Im Osten schwanden die Hügel in lang gezogenen Hängen zu einem verschwommenen Dunstschleier, hinter dem sich die dichter besiedelten Gebiete verbargen. Und dort, am Rande des Sichtfelds, begann ein fahles Leuchten sich über den Himmel auszubreiten. Leise summend warteten die Priesterinnen. Plötzlich erhellte sich die Luft, als die Sonne einen Lidschlag lang an der Kante der Hügel hinter ihnen verharrte. Dann war der Augenblick vorbei, und sanftes Abendrot überzog die Welt. Still begann Igraine zu zählen. Sie wusste, dass die Sonne hinter dem Berg immer noch auf das ferne Meer zusank. Die Farben am Himmel vertieften sich, in den Wolken fing sich das Licht in goldenen und rosigen Schlieren. Sie hörte, wie die Frauen ringsum im Halbkreis ebenso wie sie die Luft einsogen, dann begannen sie neuerlich zu singen.
»Strahlende Herrin, segne die Nacht,
Des Wassers Fluten, des Himmels Zelt,
Erfülle die Welt mit silbriger Pracht,
Steig auf, wir bitten dich, über die Welt!«
Jeden Monat huldigten sie dem Vollmond, wenn es bedeckt war auf der Insel, wenn der Himmel sich klar präsentierte hier auf der Höhe, und doch richteten sich Igraines feine Nackenhaare auf, als ein anschwellendes Leuchten die Gestalt eines fernen Hügels hervorhob. Und dann, gleich einer Antwort auf das eindringliche Flehen der letzten Zeile des Liedes, umrahmte ein greller Silberschein den Hügel; kurz darauf erklomm die riesige, wunderschöne Scheibe des Mondes das östliche Firmament.
Unwillkürlich wanderten ihre Arme mit denen der anderen empor, als wollten sie jenes
Weitere Kostenlose Bücher