Britannien-Zyklus 03 - Die Herrin von Camelot
fuhr sie die junge Frau zur Antwort an. »Ich hatte angenommen, Artor zuallermindest auf dem Totenbett vorzufinden, aber stattdessen scheint er durchaus in guter Verfassung zu sein, abgesehen von etwas Speck um die Mitte, der von mangelnder körperlicher Ertüchtigung herrührt, und der Blässe um die Nase, weil er sich ständig im Haus aufhält. Warum also hast du mich gerufen?«
»Ihr wisst, in welchem Zustand er war, als er die Insel der Maiden verließ«, erwiderte Gwendivar mit gerunzelter Stirn. »Es mag ihm wohl nicht schlechter gehen, doch gewiss auch nicht besser. Aber deshalb habe ich Euch nicht geschrieben. Es sind das Land und die Menschen selbst, die von einer Krankheit befallen sind und sterben, und wenn Ihr das nicht versteht, weshalb seid Ihr dann überhaupt gekommen?«
Mit einem Seufzer ließ Igraine von ihrem Zorn ab. »Nicht allein wegen deiner Botschaft, du brauchst also weder Schuld noch Stolz zu empfinden. Den ganzen letzten Monat haben mich schlimme Träume heimgesucht.«
»Träume von Wasser, das als rauschende, riesige Welle das Land überschwemmt?«, fragte Gwendivar mit zittriger Stimme.
Igraine stützte sich auf einen Ellbogen und besann sich der Kraft, die sie einst in diesem Kind gesehen hatte – aber nein, mittlerweile war Gwendivar einundzwanzig und somit eine Frau. Wuchs sie nun endlich in ihre Macht hinein?
»Ganz genau«, antwortete sie leise. »Ich glaube, es ist eine der Gaben von Königinnen, so zu träumen. Aber der Letzte jener Träume war anders. Mit dem Wasser setzten ein gewaltiges Licht und eine Stimme ein, die sang.«
»Ich habe sie auch gehört«, flüsterte Gwendivar, »obwohl ich die Worte nicht verstehen konnte. Aber das Licht stammte aus dem Kessel.«
Igraine nickte, wobei ihr Blick unwillkürlich zu der Truhe wanderte. Äußerlich unterschied sie sich in keiner Weise von den anderen, obwohl sie auf Grund der Bleiplatten-Ummantelung schwerer war. Dennoch spürte sie die Anwesenheit des Kessels gleich einem Kribbeln entlang ihrer Nervenbahnen – vielleicht war dies und nicht die Reise der Grund, weshalb sie so erschöpft war. Nun begriff sie, weshalb der Kessel stets hinter der schützenden Erde, dem schützenden Stein des Schreins verborgen gehalten worden war.
»Was hast du mit ihm vor?«, erkundigte sich die Königin.
»Ich weiß es nicht. Die Göttin hat es mir nicht verraten. Wir können nur darauf warten, dass sie uns ihren Willen offenbart…«
Die ganze Nacht hindurch regnete es beständig, und dennoch war dies nur der Vorbote eines Sturmes, der unmittelbar von der hibernischen See hereinfegte; eines Sturms, wie ihn die Gebiete im Westen noch kaum je erlebt hatten. Auf den Ebenen unterhalb der Insel aus Glas würde der anschwellende Meeresspiegel die Flüsse ansteigen lassen und das höher gelegene Gelände in Inseln verwandeln. Gwendivar konnte sich gut vorstellen, wie die in den Sumpfländern lebenden Menschen auf dem Tor Zuflucht suchten, während die Mönche und Nonnen verzweifelte Gebete an ihren Gott sandten.
In den geschützten Niederungen stieg das Wasser an, und auf den Höhen bekam man die volle Kraft des Windes zu spüren. Artors Mauern boten kaum Schutz dagegen. Der Sturm fegte über die Bollwerke Camelots hinweg und zerrte an den Rieddächern der darin befindlichen Gebäude. Allein die große Rundhalle, die Merlin entworfen hatte, blieb gänzlich unbeschädigt, obwohl auch durch ihre Korbgeflechtwände die Zugluft pfiff und das Bauwerk sich bei jedem Angriff des Sturmes beugte und zitterte. Vater Kedi, der christliche Priester, der missmutig von Hexerei gesprochen hatte, als die Halle errichtet wurde, kam recht demütig herbei, um bei den anderen darin Zuflucht zu suchen, wenn er sich auch bekreuzigte, als er durch die Tür trat. Es war gerade keine Zeit der Versammlung, weshalb sich viele von Artors Häuptlingen zu Hause in ihren eigenen Ländern aufhielten – anwesend waren nur seine Gefährten, seine Bediensteten und die Priesterinnen von der Insel der Maiden, für die gerade genug Platz war.
Den ganzen Nachmittag war Gwendivar mit ihren Zofen beschäftigt, um Essen, Getränke und Betten bereitzustellen. Danach konnte sie nichts mehr tun, außer ihren Platz neben Artor einzunehmen, sich zum Lächeln zwingen, während sie beobachtete, wie die Flammen der Fackeln in der Zugluft flackerten, und auf die Dämmerung zu warten.
Igraine schauderte und fragte sich, ob es tatsächlich ein Wassertropfen gewesen war, den sie auf der
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