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Britannien-Zyklus 04 - Die Herrin der Insel

Titel: Britannien-Zyklus 04 - Die Herrin der Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana L. Paxson
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Sterblicher hätte jenem Ruf zu widerstehen vermocht.
    Er kniete sich nieder und spähte in die Öffnung. Und er hatte den Eindruck, dass der Raum größer wurde, oder vielleicht schrumpfte auch er, denn was er nun erblickte, war ein Tunnel, durch den er mühelos aufrecht gehen konnte.
    Das Licht leuchtete grell vor ihm auf. Als er wieder sehen konnte, fand er sich in einer runden, aus dem Fels gehauenen Kammer wieder. Von dem Durchgang, durch den er eingetreten war, fehlte jede Spur, dafür scharten sich rings um ihn Leute. Mit blankem Entsetzen erkannte er, dass ihn das Verborgene Volk in seiner Gewalt hatte.
    Artor holte tief Luft und sah sich um. Die Wesen wirkten keineswegs feindselig. Männer und Frauen starrten ihn an. Sie hatten Ähnlichkeit mit einigen Menschen, die ihm bei den Pikten aufgefallen waren – stämmige Körper, graue Augen und dichtes, erdbraunes Haar –, ihre Kleider hingegen unterschieden sich von allem, was er bislang gesehen hatte. Die Krieger präsentierten sich mit nackter Brust. Um die Lenden trugen sie von goldverzierten Gürteln gehaltene Kilts aus kariertem Wolltuch. Ihre Haut war blau vor Tätowierungen, an ihren Seiten hingen blattförmige Bronzeschwerter. Andere Männer trugen an einer Schulter mit Spangen befestigte Tierhäute. Außerdem waren da Frauen in Röcken und Schultertüchern, während andere in ein einziges Kleidungsstück gehüllt waren, das an den Schultern von Broschen aus Bronze oder Gold zusammengehalten wurde.
    Wer immer sie waren, sie strahlten Reichtum aus – Gold an den Handgelenken und Ohren, halbmondförmige Halsketten aus Blattgold. Während er all das staunend betrachtete, teilte sich die Menge, und ein in weiße Wolle gewandeter Mann erschien. Er ähnelte Merlin, aber er war kleiner von Gestalt. Blattgold überzog seine Brust und seine Schultern. Eine gebieterische Geste hieß Artor näher zu kommen; die Leute wichen zurück und deuteten auf sein Kettenhemd und sein Schwert.
    Am hinteren Ende der Höhle thronte eine Frau auf einem Steinvorsprung. Darauf prangten eingehauene Muster; erst jetzt bemerkte Artor, dass die gesamte Höhle mit gemeißelten Spiralsymbolen überzogen war, sodass ihre Umrisse unscharf waren. Doch im Augenblick konnte er keine Aufmerksamkeit dafür erübrigen. Die gleichen Spiralmuster verflochten sich auf der elfenbeinfarbenen Haut des nackten Oberkörpers der Frau ineinander. Nein, es war nicht bloß eine Frau, dachte er, als er des goldenen Diadems gewahr wurde, das aus dem Schopf dunklen Haares hervorschimmerte – es war eine Königin. Sie erinnerte ihn an Drest Gurthinmochs Gemahlin, die von den Pikten die Große Stute genannt wurde. Ein Rock aus gefärbtem Leinen fiel in steifen Falten unterhalb ihres Bauches über die Beine; als Mantel trug sie die dichten Felle von Wildkatzen, die schmalen Köpfe prangten an ihren Schultern. In den Augenschlitzen funkelte schottischer Quarz.
    »Verteidiger…«
    Unaufgefordert sank Artor auf die Knie. Ihre Augen glichen jenen der Piktenkönigin.
    »Was wollt Ihr von mir?« Seine Stimme klang heiser in seinen Ohren.
    »Verteidige dieses Land.«
    »Das tue ich, seit ich fünfzehn Winter alt bin.«
    »Verteidige dein Volk«, forderte die Königin ihn auf. »Dein gesamtes Volk – die Kinder des Erdvolkes ebenso wie die Kinder der Sonne.«
    Artor legte die Hand auf das Heft seines Schwertes. »Ich habe gelobt, Gerechtigkeit für alle walten zu lassen, die auf dieser geheiligten Insel leben.«
    »Menschen brauchen nicht nur Gerechtigkeit, sondern auch Hoffnung und einen Traum.« Ihre Stimme klang gleichzeitig süß und bitter.
    Artor schüttelte den Kopf. »Wie kann ich ihnen das geben, Herrin? Ich bin selbst nur ein Mensch…«
    »Du bist das Kind des Bären und der Rabe Britanniens«, fuhr sie ungerührt fort. »Bist du willens, des Landes ewiger König zu werden?«
    Artor besann sich der Eide, die er anlässlich seiner Krönung geschworen hatte. Doch dies war etwas anderes, ein heller Schatten auf der Seele. Als er zögerte, sprach sie weiter.
    »Es gilt, einen Preis zu bezahlen.«
    »Was wollt Ihr von mir?«
    »Berühre den Stein, dann wirst du begreifen.«
    Eine lange Weile starrte er sie an. »Wo finde ich ihn?«, flüsterte er schließlich.
    Ihre Augen bannten seinen Blick; in Artors Kopf drehte sich alles. »Er ist hier…« Der Stein, auf dem sie saß, begann zu glühen. Als Artor die Hände danach ausstreckte, hallte ihr Ruf als Echo von allen Seiten wider. »Hier… hier…

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