Britannien-Zyklus 04 - Die Herrin der Insel
Abermals musterte sie ihn. »Warum willst du Kaiser sein? Ist es der alte Traum vom Ruhm, der dich anzieht – das Verlangen, Maximian zu rächen?«
»So war es vielleicht… zu Beginn«, erwiderte er. »Ich gebe zu, dass Riothamus’ Angebot äußerst schmeichelhaft war. Aber während ich durch dieses Land gereist bin, habe ich darüber nachgedacht. Die Herrin verlangte von mir, alle Völker zu verteidigen, die in Britannien leben, vom Erdvolk bis zu den Sachsen. Zu seiner besten Zeit hat die Gerechtigkeit Roms dies gewährleistet, doch die Pax Romana hat versagt.«
»Willst du der Welt eine Pax Britannica auferlegen?«
»Vielleicht muss ich genau das tun, um die Sicherheit dieser Insel zu wahren…«
Igraine seufzte. »Du hast die verfallenen Steine des zweiten Walls gesehen, den die Römer errichteten, um den ersten zu verteidigen, den Hadrianus bauen ließ. Jede Eroberung brachte ihnen nur ein neues Land ein, das geschützt werden musste. Aber letzten Endes konnten sie nicht alles halten, was sie eingenommen hatten. Von ganz Britannien anerkannt zu werden ist mehr, als jeder andere Fürst unseres Volkes je erreicht hat – glaubst du tatsächlich, du könntest auch noch Gallien als König dienen?«
»Mutter, ich weiß es nicht. Aber um der Welt Frieden und ihren Völkern Gerechtigkeit zu bescheren, bedarf es eines Traumes. Ich glaube, ich muss es versuchen…«
Morgause befand sich im Webschuppen und beaufsichtigte die jüngeren Priesterinnen, die gerade die Ballen rohen Vlieses überprüften, als sie bemerkte, dass jemand in der Tür stand. Sie schaute auf und kniff die Augen zusammen ob des grellen Sonnenscheins. Zunächst sah sie nur die Umrisse eines Menschen im Gegenlicht; dann erkannte sie die breiten Schultern und die hohe Gestalt des Königs. Langsam richtete sie sich auf. Während der drei Tage, die Artors Besuch bereits andauerte, war es ihr gelungen, ihm aus dem Weg zu gehen, nun jedoch war es unvermeidlich, ihm gegenüberzutreten.
»Verica, ich muss gehen – stell sicher, dass jeder Ballen, in dem sich über den Winter Motten eingenistet haben, in den anderen Schuppen gebracht wird. Wenn wir das Vlies gründlich waschen, können wir vielleicht einen Teil der Wolle retten.«
Die jüngere Priesterin nickte, und Morgause bahnte sich an den Frauen vorbei einen Weg zur Tür.
»Ah«, Artor versuchte ein Lächeln. »Ich bin froh, dass du zu mir herausgekommen bist. Ich würde lieber eine sächsische Armee angreifen, als den Kreis all dieser schnatternden Mädchen zu stören.«
»Tatsächlich? Ich dachte, es gäbe nichts, das du nicht wagen würdest.« Morgause musste an sich halten, um ihrer Stimme einen beiläufigen Klang zu verleihen.
Artor schüttelte den Kopf. »Gehst du ein Stück mit mir spazieren? Wir müssen uns über Medrod unterhalten.« Gemeinsam schlenderten sie den Pfad entlang.
»Was hat er angestellt?«
»Wieso fragst du das? War er ein so schwieriges Kind?«, erkundigte Artor sich rasch.
Ganz und gar nicht. Nicht bis zuletzt … Morgause zog das Schultertuch enger um sich, denn ein frostiger Wind scharte dichte Wolken zusammen. »Dein Tonfall ließ mich vermuten, er befände sich in Schwierigkeiten«, antwortete sie laut.
»Auf dem Weg nach Norden kam es zu… Unfällen. Ich habe Medrod zu den Sachsen geschickt – zu Cynric nach Venta Belgarum, der ihn um des Lebens seines eigenen Sohnes willen wie seinen Augapfel hüten wird. Wie es scheint, ist das Geheimnis um Medrods Vater bekannt geworden, und womöglich glauben so manche, sie täten mir einen Gefallen damit, ihn zu beseitigen.«
»Vielleicht stimmt das auch«, gab Morgause verbittert zurück. »Wieso solltest du ihm vertrauen, wo er doch ist, was ich aus ihm gemacht habe? Du hast sogar guten Grund, mir zu misstrauen.«
»Um der Herrin willen, Morgause! Mag sein, dass er nie hätte geboren werden sollen, aber hier ist er nun, und er verdient eine Chance. Ich bin nicht hergekommen, um dich anzuklagen, aber du kennst ihn besser als jeder andere. Ob es mir gefällt oder nicht, er ist mein Sohn. Ich muss ihn verstehen…«
Morgause starrte zu dem Bruder empor, den sie so lange gehasst und betrogen hatte. Er war immer noch stark, doch in dem braunen Haar schimmerten silbrige Strähnen, und in seine Gesichtszüge hatten sich Spuren der Verantwortung und der Macht gegraben. Er wirkte so selbstsicher, so überzeugt von der eigenen Redlichkeit, dass sie ihn beinahe wieder zu hassen begann.
Soll ich ihm verraten, dass
Weitere Kostenlose Bücher