Britannien-Zyklus 04 - Die Herrin der Insel
Geschichte…«, begann Medrod, während er seine Zuhörerschaft in den Schatten unterhalb der Palisade führte.
»Ihr alle wisst, dass wir die Angeln vor zwanzig Jahren besiegt haben und ihnen Land im Osten gaben, das unser eigenes Volk aufgegeben hatte, allerdings unter der Bedingung, dass sie es verteidigen mussten…«
»Mein Großvater sagt, der König hätte sein eigenes Volk verraten, indem er diesen Pakt einging«, bemerkte Marc’h, ein schlaksiger Dreizehnjähriger, der Sohn Constantins. »Er hätte sie allesamt töten sollen.«
»Pah – dein Großvater hat den letzten Sachsenkrieg angezettelt!«, entgegnete ein anderer.
»Vielleicht«, zog Medrod das Gespräch wieder an sich. »Aber dann hätte das Land brachgelegen, und womöglich wären stattdessen eben jene Nordmänner gekommen, die ihr als Wilde bezeichnet und mit denen alles weit schwieriger gewesen wäre. Die Sachsen und die Angeln sind keine schlechten Menschen – ich habe bei ihnen gelebt, deshalb weiß ich es. Je länger sie in unserem Land weilen, desto ähnlicher werden sie uns.«
»Sie besetzen ein Viertel Britanniens«, murmelte Marc’h. »Mein Großvater sagt, eines Tages werden sie versuchen, sich auch den Rest einzuverleiben.«
Medrod schüttelte den Kopf. »Nicht wenn wir stark sind und zusammenhalten. Nicht wenn ihre Könige einen Vorteil darin sehen, unsere Verbündeten zu sein. Ich habe Schulter an Schulter mit Icels Sohn Creoda gefochten, und nun bezeichnet er mich als Freund.«
»Der Feldzug – erzähl uns davon«, drängten mehrere Stimmen, und Medrod begann mit seiner Geschichte. Dabei übertrieb er nicht – oder zumindest kaum. Schließlich konnten die Männer Demetias, die mit ihm geritten waren, allzu ausgefallene Behauptungen widerlegen. Aber bei den Sachsen hatte er gelernt, dass ein Mann es sich selbst schuldete, Anspruch auf seine Siege zu erheben.
»Und so ist mir sowohl die Dankbarkeit der Angeln als auch die der Nordmänner gewiss!« Medrod gestattete sich ein flüchtiges Lächeln. »Es gibt immer noch Ruhm zu erlangen, auch ohne Britannien zu verlassen.«
»Fürst Peredur meint, die Pikten werden bestimmt demnächst einen neuen Krieg anzetteln«, warf ein junger Wachmann aus Eboracum ein. »Er sagt, wenn der König nicht bald zurückkehrt, wird Britannien in die Zeit des Vor-Tigernus zurückfallen, in der die Fürsten gegeneinander gekämpft und das Land der Gnade seiner Feinde überlassen haben.«
»Das ist wohl wahr«, pflichtete Medrod ihm nachdenklich bei. »Wir brauchen einen starken König, für den Britannien an erster Stelle steht…«
Jäh setzte er ab, als er in einigen Gesichtern plötzliche Zweifel aufkeimen sah, während andere zustimmend nickten. Hatte er etwa beabsichtigt, einen Aufstand anzudeuten? Er wusste es selbst kaum, aber nun war die Saat gepflanzt.
»Und was, wenn König Artor überhaupt nicht zurückkehrt? Was wenn er, deine Brüder und all die erfahrenen Krieger von den Franken getötet werden?«, rief Martinus.
»Dann haben wir immer noch die Königin«, antwortete Medrod. »Will irgendjemand in Abrede stellen, dass sie während der vergangenen Jahre klug geherrscht hat?«
»Aber sie kann keine Armee anführen.«
»Das vielleicht nicht, obwohl ich mich zu besinnen glaube, dass die Königinnen unseres Volkes genau das getan haben, als die Römer dieses Land eroberten. Aber das braucht sie gar nicht. Ich stamme aus dem Norden, wo man immer noch versteht, dass die Königin den wahren Quell der Herrschaft verkörpert. Sollte der Hochkönig fallen oder versagen, ist es Gwendivars Sache, einen Fürsten zu erwählen, der dieses Land anführt.«
VII
Bittere Ernte
A.D. 514
Die jährlichen Abgaben an Gold und Korn waren am Ende des Sommers fällig, nachdem die Ernte eingebracht war. Seit der Abreise des Königs erschien Gwendivar der Gesamtbetrag jedes Jahr geringer. Logen die Fürsten in ihren Berichten, oder hatte Artors Abwesenheit das Land tatsächlich seiner Fruchtbarkeit beraubt?
Im Norden hielt man daran fest, dass die Ergiebigkeit der Erde von der Königin abhing. Was keine Hilfe darstellte, dachte sie, während sie an den rauchgeschwärzten Verputz der Wände starrte. Wie konnte das Land fruchtbar sein, wenn es eine unfruchtbare Königin hatte?
»Habt Ihr die Aufstellung aus Dumnonia?«, fragte Medrod von der gegenüberliegenden Seite des Raumes aus.
»Die habe ich«, antwortete sie. »Nach deren Angaben gibt es in Kernow kaum einen Kornstängel und kaum einen Fisch
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