Britannien-Zyklus 04 - Die Herrin der Insel
hatten und die Stille unbehaglich wurde, ehe er sich mit einer fließenden Bewegung erhob, die jedermanns Aufmerksamkeit weckte. Wohlweislich hatte er einen langen Kittel aus byzantinischem Brokat von so dunklem Scharlachrot angelegt, dass es beinahe purpurn wirkte. Sein schwarzer Umhang war mit Wolfspelz gesäumt. Um seinen Hals funkelte ein Reif aus gewundenem Gold.
»Fürsten Britanniens, ich heiße Euch willkommen. Es war die Königin, die Euch zum Rat gerufen hat, wie es ihr Recht ist. Ich spreche in ihrem Namen.« Er verbeugte sich vor Gwendivar, die das Haupt neigte. Ihre Gesichtszüge hinter dem Schleier waren ausdruckslos wie die einer römischen Statue.
»Und wieso hat sie – oder habt Ihr – uns hierher gerufen?«, rief Cador zur Antwort aus.
»Um über die Zukunft dieser seit zehn langen Jahren ihres Königs beraubten Insel zu beraten.« Er wartete, bis das Gemurmel sich legte.
»Habt Ihr Kunde von Artors Tod?«, fragte Paulinus von Viroconium.
»Wir haben lediglich Gerüchte gehört. Es gab eine große Schlacht gegen die Franken, bei der viele getötet wurden. Meine Gewährsmänner sahen einen Scheiterhaufen, und man sagte ihnen, die Briten würden ihren König verbrennen.«
Diesmal brach heftigeres Getuschel los. Vielen der Anwesenden hatte Artors Herrschaft widerstrebt, doch er war auch innig geliebt worden. Gwendivar blickte bei seinen Worten jäh auf, denn sie glaubte an die verworrene Geschichte von Merlins Prophezeiung, nämlich dass es Riothamus gewesen sei, der starb.
»Vielleicht ist er nicht tot«, fuhr er schulterzuckend fort, »obwohl ich nicht verstehe, weshalb Artor, sofern er noch lebt, keine Botschaft gesandt hat. Vielleicht hat man ihn zum Kaiser erkoren, und Britannien kümmert ihn nicht mehr.« Medrod breitete die Arme aus. »Meine Fürsten – spielt es eigentlich eine Rolle? Er ist nicht hier! Handelt so ein Herrscher, der sich um sein Volk sorgt?«, rief er aus.
»Die Zeit der Stürme hat eingesetzt, die denkbar schlecht ist zum Segeln«, gab jemand zu bedenken, aber der Rest der Männer pflichtete Medrod lautstark bei.
»Handelt so ein Verteidiger des Landes? Ein König?«, sprach Medrod weiter, wodurch er immer mehr zustimmende Rufe weckte.
Er entfernte sich von seinem Sitz und begann, im Kreis auf und ab zu schreiten. »Letztes Jahr griffen Männer aus dem Norden die Küste Anglias an. Ich führte eine Truppe britischer Krieger an und ritt mit Icels Sohn Creoda aus, um sie zu besiegen. Wir trennten uns als Freunde, aber glaubt ihr, es sei den Angeln entgangen, dass Britannien keinen König hat, der das Land verteidigt? Sie haben mich allein deshalb anerkannt, weil ich König Artors… Verwandter bin.«
Medrod sah Blicke, die sich kurz auf ihn richteten und sich rasch wieder abwandten. Sie hatten sich an ihn gewöhnt – es war Zeit, sie daran zu erinnern, wer er tatsächlich war.
»Fast neun Jahre habe ich bei den Sachsen verbracht und ihre Sprache gelernt. Nach einer Weile vergaßen sie, in meiner Gegenwart auf ihre Worte zu achten. Im Augenblick verhalten sie sich ruhig, aber sie haben ihre Träume, den Rest dieser Insel zu erobern, keineswegs aufgegeben. Ein Jahrzehnt lang hat die Angst vor Artors Namen sie davon abgehalten. Aber mittlerweile wächst eine neue Generation von Kriegern heran, die keine Ehrfurcht vor britischen Waffen gelernt hat. Ob durch Angst oder durch Freundschaft, man muss ihnen jetzt Fesseln anlegen, und das kann einzig durch einen König geschehen.«
Das Feuer flackerte, als ein Windstoß von draußen, gleich einem Widerhall seiner Worte, den Druck in der Halle veränderte.
»Und erhebt Ihr Anspruch auf den Thron?«, rief einer der dumnonischen Fürsten.
Medrod holte tief Luft. Hierfür war er geboren worden; er war von seiner Mutter dazu ausgebildet worden, ihr als Waffe gegen den König zu dienen. Nun, da Morgause ihre Rache aufgegeben hatte, würde es seine Rache an ihr sein, Artors Platz einzunehmen. Und er wollte es, mehr als er je zuvor etwas gewollt hatte, abgesehen vielleicht von der Liebe seiner Mutter – oder Kea – oder Gwendivar.
»Das tue ich. Ich besitze das Recht dazu, gleichgültig ob ihr mich als Sohn oder als Neffen betrachtet, und ich besitze den Willen dafür.« Seine Stimme schallte durch die Halle. »Artor hat eure Söhne und eure Reichtümer in einem sinnlosen Krieg in der Fremde vergeudet. Ich werde beides sicher in Britannien behalten. Er hat den Fürsten dieses Landes kurze Leinen angelegt, aber die
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