Britannien-Zyklus 04 - Die Herrin der Insel
zwischen Siegespreis und Geisel war.
Jenseits des halb errichteten Walls sah sie einen langen Streifen Hügel- und Heideland, dahinter das helle Glitzern von Wasser. Es handle sich um die Mündung des Tava, hatte man ihr erklärt. Auf der gegenüberliegenden Seite befanden sich die dunklen Gebirgszüge von Fodreu. Selbst die Gebiete der Votadini, dachte Gwendivar, während sie ihren Umhang befestigte, wären ihr unwirtlieh erschienen, doch Medrod hatte sie weit tiefer in das Land der Pretani verschleppt, jener bemalten Menschen, die seit jeher als Feinde Britanniens galten. Wind und Wasser schmeckten hier anders, auch die Erde wirkte fremd. Hier war sie keine Königin mehr.
Ninive hingegen war mit jedem Schritt nordwärts mehr aufgeblüht. »Meine Mutter war eine Frau königlichen Blutes des Verborgenen Volkes, der Urbewohner dieses Landes«, erklärte sie lachend, mit im Wind wehendem Haar. »Bis ich elf Jahre alt war, bin ich wild wie ein Heidepony umhergerannt. Dann kam Gwalchmai zum Jagen in diese Gegend geritten, wie auch damals, als er meine Mutter traf und mich zeugte. Zu jener Zeit war sie bereits tot, und er brachte mich zu Igraine auf die Insel der Maiden. Aber nur hier, in diesem Land habe ich mich je wirklich frei gefühlt!«
Gwendivar schüttelte den Kopf und verstand nur, dass es richtig gewesen war, sich für Ninive zu entscheiden, nachdem Medrod sie aufgefordert hatte, eine der Frauen als Begleiterin auszuwählen. War Merlin ihnen gefolgt? Einige von Medrods Männern behaupteten, jenseits des flackernden Scheins ihrer Feuer einen Wilden Mann gesehen zu haben, doch sofern es sich um den Druiden handelte, hatte er bislang keinen Versuch unternommen, mit ihr zu reden.
Und wieso sollte er auch?, dachte sie verbittert. Ich habe ihm keinen Grund zu der Annahme gegeben, ich müsste gerettet werden. Er wartet auf Ninive, nicht auf mich…
Schaudernd drehte Gwendivar sich zu der mit einem groben Rieddach versehenen Hütte um, die man für die Frauen gebaut hatte, während an Medrods Halle gearbeitet wurde. Die Hütte war finster und bot wenig Annehmlichkeiten, aber zumindest brannte darin ein Feuer.
In jener Nacht kehrte Medrod zurück. Er kam mit einer Bande lautstark lachender Piktenkrieger, außerdem einer Herde schwarzer Rinder und einem Tross beladener Pferde. Bald waren Feuer entfacht, und zwei der Kühe wurden geschlachtet. Die großen Fleischteile brieten über den Kohlen, während der Rest in derben, aus den Häuten gefertigten Beuteln kochte.
Für Gwendivar brachte er eine mit Stroh gefüllte Matratze und warme Wolldecken mit, zudem einen Mantel aus karierter Wolle in erdgrünen Farbtönen, von dem er behauptete, er sei ein Geschenk der Königin der Pikten.
»Ich bin dankbar«, sprach sie mit tonloser Stimme, nachdem Bleitisbluth, jener schöntuerische Pikte, der sich mittlerweile zu Medrods Schatten entwickelt hatte, sie allein gelassen hatte. »Insbesondere da ich sicher bin, dass sie ihr Land keinesfalls mit einer anderen Königin teilen möchte. Wie lange willst du mich hier behalten, Medrod? Dies ist nicht mein Land.«
»Ist es das wirklich nicht?« Weiße Zähne blitzten auf, als er grinste, und sie erkannte, dass er bereits ordentlich Heidebier getrunken hatte. »Pretani ist lediglich ein anderes Worte für Brite, und obwohl sich dieses Land nie dem Joch Roms unterworfen hat, gehören Alba und der Süden zur selben Insel!«
»Aber das sind Pikten!«, widersprach sie mit leiser Stimme. »Sie sind immer unsere Feinde gewesen!«
»Die Feinde der verweichlichten Stämme des Südens«, entgegnete er, »und die Feinde Roms, nicht aber meine.«
Gwendivar musste einsehen, dass dies stimmte. Mittlerweile kleideten Medrod ein Kilt und ein ockerfarben und scharlachrot karierter Umhang. Von seiner südlichen Kluft hatte er nur den goldenen Halsreif behalten. Auf seiner nackten Brust prangten die wellenförmigen Spiralen piktischer Tätowierungen, piktisches Gold zierte seine Stirn.
»Ich habe die Riten über mich ergehen lassen, durch die aus einem Mann ein Krieger wird. Beim Beltene-Fest werden wir ein offizielles Bündnis geloben, und für dich werde ich ein Hochzeitsfest bereiten, wie unser Volk es zu tun pflegte, bevor der erste christliche Priester den Fuß in dieses Land setzte.«
Als Medrods Hände sich auf ihre Schultern legten, wich sie zurück, doch hinter ihr war der Türpfosten, und sie konnte nirgendwohin ausweichen. Gwendivar erbebte, als sein Mund den ihren forderte; sogar
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