Brixton Hill: Roman (German Edition)
hatte? Wollte man ihr Informationen zuspielen? Erlaubte sich einfach nur jemand einen Scherz?
Oder war es etwa Miles Fielding, der endlich ausführen wollte, was sein Auftrag gewesen war?
Sie würde der Aufforderung nicht folgen. Aber sie musste mit jemandem darüber reden. Em fand, dass dies eine gute Gelegenheit war, sich endlich wieder bei Jay zu melden. Doch sein Handy war ausgeschaltet. Sie rief Jono an, auch dort landete sie sofort auf der Mailbox. Noch einmal probierte sie es bei Jay, dachte sogar daran, nach Brixton zu fahren und nachzusehen, ob er zu Hause war und nur vergessen hatte, den Akku aufzuladen. Sie könnte auch Tobs anrufen und fragen, ob er wüsste, wo Jay war. Wobei das Unsinn wäre. Was hatte sie mit Tobs zu tun? Er konnte sie nicht ausstehen. Eine beste Freundin, wie man es aus Fernsehserien kannte, hatte sie nicht. Da sie gerade kein laufendes Projekt hatte, gab es auch niemanden unter den Kollegen und Mitarbeitern, mit dem sie sich rasch treffen könnte – mit Grauen dachte sie daran, wie umständlich und schmerzhaft es außerdem sein würde, die ganze Geschichte jemandem zu erzählen, der noch nichts darüber wusste.
Eric hatte ihr immer vorgeworfen, keine wirklich engen Vertrauten zu haben. Seine Prophezeiungen, dass sie es eines Tages bitter bereuen würde, schienen sich gerade zu bewahrheiten, und doch wusste Em, dass sie nicht der Typ für tiefe Freundschaften war, jedenfalls nicht die Sorte Freundschaft, die vollkommene Hingabe und Offenheit verlangte. Sie wollte sich nicht öffnen, nur um jemanden zum Reden zu haben. Absurd. Dann machte sie die Dinge doch lieber mit sich selbst aus.
Oder sie ging zu ihrer Großmutter.
Als Em ins Haus kam und die Stufen hinaufging, hörte sie Katherine schon auf der Treppe. Ihre Tante sah sie besorgt an, sagte ein paar nette Dinge zu ihr und verschwand. Em ging rauf zu Patricia und trat vorsichtig ein. Die Haushälterin lächelte sie an und sagte ihrer Großmutter Bescheid.
»Du willst vermutlich nicht wissen, wie die Beerdigung war«, begrüßte Patricia sie.
»Nein. Aber wenn es dir ein Bedürfnis ist …«
»Ich habe meine Tochter schon damit gelangweilt. Das reicht mir. Was liegt dir auf der Seele?«
Em setzte sich unbewusst auf denselben Platz, den Katherine zuvor eingenommen hatte. »Eric. Glaubst du, dass er für Robert die Drecksarbeit erledigt hat?«
»Kind. Anwälte erledigen immer Drecksarbeit. Das liegt an ihrem Beruf.«
»So meinte ich das nicht.«
»Ich weiß. Aber warum sollte er Robert nicht einfach einen Gefallen tun? Wegen ihm hat er überhaupt erst Jura studiert. Er bewunderte immer sehr Roberts kühle, überlegte Art und die schönen Anzüge. Euer Vater war ihm, glaube ich, etwas zu hemdsärmelig.«
»Dir ja auch.«
»Das ist Unsinn.«
»Ihr habt euch immer gestritten.«
»Er konnte es vertragen. Deine Mutter war ja nicht mehr da. Jemand musste ihn abhärten.«
»Abhärten?« Em lachte. »Deshalb warst du immer so zu ihm?«
Patricia lächelte ihre Enkelin an. »Er war euch ein guter Vater, nicht wahr?«
Em nickte. »Viel unterwegs, aber ein großartiger Mensch.«
»Na also. Wer sich davon beeindrucken lässt, dass ich kratzbürstig bin, der bringt es nicht weit.«
Em sagte nichts, dachte aber an Katherine, die sich von Patricia alles gefallen ließ.
»Wegen deines Bruders – ja, ich kann es mir vorstellen. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass er dabei immer dachte, er hätte die Situation im Griff. Eric war nie leichtfertig. Das weißt du. Warum fragst du?«
»Weil ich es mir nicht vorstellen kann.«
»Du willst es nicht.«
»Hätte Robert denn nicht eher seinen Sohn gefragt?«
Patricia winkte ab. »Was willst du denn mit dem? Alex ist den Anzug nicht wert, in dem er steckt.«
»Wie bitte? Warum wird er dann behandelt, als sei er der lange verschollene Sohn?«
»Unsinn. Kann es sein, dass deine Wahrnehmung ein wenig leidet, was ihn betrifft?«
Em verdrehte die Augen. »Trotzdem. Alex ist sein Sohn. Wer krumme Geschäfte macht, hält den Kreis doch lieber klein.«
»Meine liebe Emma. Ich weiß, dass Frank und Robert verhaftet wurden, und ich weiß auch warum. Ich traue ihnen das alles zu, aus verschiedenen Gründen. Nur eins bleibt mir ein Rätsel: Warum sollte Robert dir nach dem Leben trachten? Wenn jemand bereit ist zu töten, dann muss eine Menge passiert sein. Da geht es um große Gefühle. Tiefe Verletzungen. Alte Wunden, die aufreißen. Stell dir Robert doch mal vor. Der glaubt, dass sich
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