Brixton Hill: Roman (German Edition)
alles mit Geld regeln lässt und jeder Mensch, sei er noch so ein großer Idealist und Moralist, seinen Preis hat. Das ist seine Religion. Er hätte erst versucht, dir Geld anzubieten, bevor er dir einen Auftragskiller auf den Hals hetzt. Eher würde ich es jemandem wie Frank zutrauen.«
»Frank? Der kann doch keiner Fliege …«
»Na eben. Ein Schäfchen. Das sind die Schlimmsten. Irgendwann bricht es aus denen heraus, dann haben sie die Demütigungen und das alles satt, und schlagen um sich.«
»Also, Patricia, ich weiß nicht. Das klingt sehr nach Küchenpsychologie.«
»Das Alter, meine Liebe. Das Alter.«
»Einsetzende Demenz?«
»Du bist unverschämt. Ich meinte Lebenserfahrung.«
Em schüttelte den Kopf. »Nein. Frank ist viel zu …«
»Dumm?«
»Vielleicht ist es das, ja. Ich wollte harmlos sagen.«
»Also dumm. Warum fragst du mich das alles?«
»Ich hab den Eindruck, es ist noch nicht vorbei.«
»Sie sitzen beide im Gefängnis. Wo ist das Problem?«
»Miles Fielding sitzt nicht.«
»Ist der nicht untergetaucht und wird überall gesucht?«
»Ich habe eine Nachricht bekommen, die mich nervös macht«, gab Em zu.
»Ach. Da will dich jemand ärgern.«
»Meinst du?«
»Einfach ignorieren. Hier bist du in Sicherheit. Soll dir doch sonst wer Nachrichten schicken. In meinem Haus passiert dir nichts.« Mit einem ungewöhnlich warmen Lächeln beugte sich Patricia vor und nahm Ems Hand, um sie zu drücken. »Mag sein, dass ich heute sentimental bin. Ich komme von der Beerdigung einer bemerkenswerten Frau, und natürlich lässt mich das etwas intensiver über mein Ableben nachdenken. Trotzdem, lass dich nich t ärgern.«
Em lächelte zurück, nickte ihr dankbar zu und ging nach unten. Sie warf sich auf das Sofa, schaltete den Fernseher ein und ließ irgendein Programm laufen, das Menschen zeigte, die dringend abnehmen wollten, aber noch viel lieber Süßigkeiten aßen. Nach ein paar Minuten schlief sie ein.
Als sie gegen elf Uhr wieder aufwachte und ihre Nachrichten checkte, sah sie, dass sie bereits vor einer Stunde eine Antwort bekommen hatte.
Weil der liebe Jono auch hier ist.
Eine weitere Nachricht war wenige Minuten danach geschickt worden. Zwar wieder von einem anderen Absender, aber natürlich musste dieselbe Person dahinterstecken.
Er sagt, er wäre gern allein mit dir.
Dazu ein Foto von einem Arm, der mit Kabelbinder an einen Fenstergriff gebunden war. Ein Unbeteiligter könnte denken, der Tweet an Em sei eine Einladung zu einem vergnüglichen Abend zu zweit, bei dem Fesselspielchen auf dem Programm standen.
Em erkannte, wo das Foto aufgenommen worden war: in Kimmys Büro, an dem Fenster, aus dem sie gesprungen war. Sie sah die Plastikplane, die man anstelle der zerschlagenen Scheibe angebracht hatte.
Man erpresste sie mit Jono. Ihr Leben gegen seins. Natürlich, warum auch nicht. Es funktionierte schließlich. Em zog ihren Ledermantel über und rannte los.
Kapitel 45
D er Limeharbour Tower stand leer. Wie die meisten Braidlux-Gebäude musste der Büroturm aufgrund größter Bedenken seitens der Gesundheitsbehörden geräumt werden. Hier durfte niemand mehr arbeiten. Für die eingemieteten Firmen bedeutete das eine Katastrophe. In kürzester Zeit umziehen zu müssen, neue Räume zu finden, neue Strukturen einzurichten, nicht zu wissen, ob und wann einem dieser Schaden ersetzt wurde – für einige der jungen und kleineren Firmen, die sich im Limeharbour Tower niedergelassen hatten, würde es das Aus bedeuten.
Da man die möglichen Schäden für die Gesundheit noch nicht recht einschätzen konnte, hatte man das Sicherheitspersonal, das sonst nachts den Tower bewachte, abgezogen. Von nun an fuhr nur noch jede Stunde ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes vorbei, um nachzusehen, ob sich auch keine Jugendlichen hier herumtrieben, Graffitis sprühten oder Müll anzündeten.
Der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes hatte in den vergangenen Nächten nicht sehr viel zu tun gehabt. Niemand schien sich für das Gebäude zu interessieren. In dieser Nacht war er etwas unaufmerksam, weil er den ganzen Tag über, statt zu schlafen, sämtliche Berichte übe r die Beerdigung von Margaret Thatcher im Fernsehen verfolgt hatte. Er war ein großer Fan der Eisernen Lady gewesen. Einmal, als sie Ministerpräsidentin und er noch im aktiven Polizeidienst gewesen war, hatte er ihr die Hand schütteln dürfen. Eine beeindruckende Persönlichkeit. Er hatte sich auch den Kinofilm über sie angesehen und,
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