Brixton Hill: Roman (German Edition)
zu erhalten, dass Alan dieses ungeheuerliche Attentat wochenlang geplant und schließlich durchgeführt hatte, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, war sie fortgerannt. Sie überlegte, wie sie die Polizei überzeugen konnte. Wenn sie sich jedoch vorstellte, wie sie jemandem wie DC Cox die Situation erklärte, war sie schon kurz davor, es sich anders zu überlegen.
Sie lag auf ihrem Bett, den Laptop auf den Knien, die Kleidung, die sie schon den ganzen Tag trug, noch nicht ausgezogen. Nur den Mantel und die Stiefel. Sie sah auf das Display. Halb drei. Unruhig klappte sie den Laptop zu und warf ihn neben sich, zog die Stiefel wieder an und verließ ohne Mantel die Wohnung. Mit dem Aufzug fuhr sie ins Foyer.
»Hey, Sanjay«, begrüßte sie den Nachtportier. »Haben Sie eine Zigarette für mich?«
»Für Sie doch immer, Ms. Vine«, sagte er und strahlte. »Was dagegen, wenn ich mit rauskomme?«
»Wäre mir ein Vergnügen.«
Sie stellten sich in die Kälte und rauchten. Em rauchte nur sporadisch. Auf einer Party, nach dem Sex, einfach so. Aber nicht regelmäßig, nie zu Hause, nicht, wenn sie allein war. Ausnahmen bestätigten die Regel, natürlich.
»Wie läuft das Studium?«, fragte Em.
Sanjay war der Sohn indischer Einwanderer. Er hätte eigentlich das Restaurant seiner Eltern übernehmen sollen, hatte sich dann aber mit Mitte zwanzig entschieden, dass er lieber Informatik studieren wollte. Mit seinen Eltern hatte es deshalb angeblich einen riesigen Streit gegeben. Nun jobbte er hier, statt bei ihnen im Restaurant. Em vermutete allerdings, dass der Streit mehr damit zu tun hatte, dass sich Sanjay weigerte, die Frau zu heiraten, die man ihm ausgesucht hatte. Dass Sanjay schwul war, war kaum zu übersehen.
»Gut, macht viel Spaß«, sagte er.
»Das freut mich.«
»Dieser Anschlag heute, haben Sie davon gehört?«
Em nickte. »Ich war sogar dabei.«
Sanjay nickte nun auch.
»Na los. Fragen Sie mich«, sagte sie. »Sie haben doch bestimmt irgendwo gelesen, dass mich die Polizei mitgenommen hat.«
»Twitter«, gab er zu.
»Und? Was denken Sie?«
»Kann mir nicht vorstellen, dass Sie so einen Blödsinn machen.«
»Die meinten, ich hätte irgendwas mit meinem Smartphone ausgelöst.«
»Wie denn das?«
Sie atmete den Rauch tief ein. »Ich weiß es nicht. Die offenbar auch nicht. Haben Sie eine Idee?«
Er rauchte nachdenklich. »Mehrere. Wenn ich da ein paar Details wüsste …«
»Mal sehen, was ich von der Polizei erfahren kann.«
Sie rauchten eine zweite Zigarette.
»Meinen Sie, es war irgendein blöder Spaß, der gewaltig schiefgelaufen ist? So eine … Flashmob-artige Aktion? Es den Reichen in Canary Wharf mal zeigen?«, fragte Sanjay.
»Möglich. Aber ich habe da noch eine ganz andere Idee.«
Er sah sie neugierig an, aber als sie nicht weitersprach, fragte er auch nicht.
»Hat die Polizei eigentlich Öffnungszeiten?« Sie wusste jetzt, was sie zu tun hatte. Zu dieser Frau gehen, deren Namen sie vergessen hatte, und ihr von Alan erzählen. Sie hätte es längst tun müssen.
»Kommt drauf an, mit wem Sie sprechen wollen. Irgendjemand ist bestimmt immer da.«
Aber Em wollte nicht mit irgendjemandem sprechen, sondern mit DCI Palmer.
Sie hatte den Namen doch nicht vergessen.
Em war schon fast am Aufzug, als Sanjay etwas vor sich hin murmelte.
»Bitte?«
»Ach. Nichts. Es sind nur diese verdammten Anzeigen. Blinken einfach drauflos. In diesem Gebäude ist doch a lles computergesteuert, und wenn es irgendwo eine Feh lfunktion gibt, wird sie hier angezeigt. Man kann nur nie genau sagen, ob man sofort etwas unternehmen muss, oder ob es Zeit hat. Stichwort Bürozeiten. Vor ungefähr drei Wochen zum Beispiel blinkte es hier wie verrückt, und dabei war nur …«
»Wo blinkt es jetzt?«, unterbrach ihn Em. Sätze mit »Computer« und »Fehlfunktion« gefielen ihr gerade nicht.
Sanjay lachte. »Ach, das ist sogar bei Ihnen. Im einundzwanzigsten. Wir haben hier so eine Art Gebrauchsanweisung, könnte man sagen, und wenn ich das richtig sehe, dann ist nur eine Kleinigkeit mit der Sprinkleranlage …«
Em war schon auf dem Weg in den Aufzug. Die Fahrt in den einundzwanzigsten Stock kam ihr episch lang vor, und sie musste daran denken, wie sie noch am selben Morgen mit einem Aufzug stecken geblieben war.
Dieser Aufzug blieb nicht stecken. Als sich die Türen endlich öffneten, roch sie bereits den Rauch. Es war keine Rauchpatrone. Sie konnte das Feuer hören.
Em schloss die Wohnungstür auf und prallte
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