Brixton Hill: Roman (German Edition)
Ihr Kollege? Unten? Machen Sie sich keine Umstände. Ich suche ihn.« Was sie nicht vorhatte.
»Sam? Junge? Hör mal«, rief der Ältere runter.
»Moment«, kam die Antwort aus dem Erdgeschoss.
Unbemerkt wegschleichen fiel also schon mal aus. Für einen Moment fühlte sich Em wie zu Internatszeiten, wenn sie sich nachts aus dem Schlafgebäude geschlichen hatte, um sich mit anderen Mädchen zum Rauchen im Park zu treffen. Sie ärgerte sich darüber, nicht gleich die Dienstbotentreppe genommen zu haben. Dort lungerten die Polizisten nämlich nicht dauernd herum.
»Er kommt gleich«, sagte der Mann, lächelte und rang sichtlich nach einem Small Talk-Thema. »Der Kaffee, den Ihre Haushälterin kocht, ist übrigens ganz toll.«
»Das ist nicht meine Haushälterin«, sagte Em.
Er nickte. »Na ja, und das Wetter. Geht ja so langsam. Nicht mehr so kalt.«
»War ein langer Winter«, sagte Em, um ihm einen Gefallen zu tun. »Wissen Sie was, ich hab’s mir anders überlegt. Ich geh später raus.«
»Ach, der kommt gleich«, sagte der Polizist. »Nicht so ungeduldig.«
»Mich muss wirklich niemand begleiten.« Ob Palmer ihnen schon gesagt hatte, dass sie sie nicht aus den Augen lassen dürften?
»Das macht der doch gerne.«
Die Polizisten lösten sich schichtweise ab, um Haus und Bewohner zu bewachen. Em hatte aufgehört, sich ihre Namen zu merken, weil ständig andere kamen. Auch die Bank wurde von der Polizei überwacht. Eine sichtbare Überwachung, hatte man angeordnet, um dem Attentäter zu zeigen, dass man vorbereitet war.
Nur dass der Attentäter unsichtbar war und blieb, und wie sollten Polizisten, die um eine Tür herumschlichen, jemanden aufhalten, der über das Internet in jeden vernetzten Winkel eindringen konnte?
Seit Erics Tod, seit sie wieder bei den Everetts wohnte, saßen Em, Katherine und Frank an fast jedem der kühlen Frühlingsabende zusammen am Kaminfeuer auf Ems Etage und tranken teuren Rotwein. Ihre Gespräche wiederholten sich, so auch am Abend zuvor. Em sagte, nicht zum ersten Mal: »Ich glaube nicht, dass die Anschläge der Bank gelten.«
Katherine und Frank widersprachen ihr mit ebensolcher Regelmäßigkeit.
»Da fallen mir aber spontan ein paar sehr gute Gründe ein, warum uns jemand an den Kragen will. Hingegen keiner, warum dich jemand tot sehen möchte. Abgesehen von diesem … Collins, nicht wahr? Die Wahrscheinlichkeit, dass wir das Ziel sind, ist deutlich höher.«
»Dann nenn mir doch mal einen triftigen Grund. Erpressung kann es nicht sein, es gibt keine Forderungen. Erpresser melden sich in der Regel, sonst ergeben ihre Taten keinen Sinn.«
»Nun, man will vielleicht ein Exempel statuieren. Gegen die Oberschicht. Gegen den Kapitalismus.« Während Katherine sprach, spielte sie an ihrer Cartier-Armbanduhr herum. Unbewusst. »Wer sagt denn, dass diese Chaoten einen Grund brauchen? Vielleicht ist es die reine Lust an der Zerstörung.« Ihre Hand mit dezent lackierten, nicht zu langen Nägeln schloss sich um das andere Handgelenk und verdeckte dabei die Uhr.
»Ich glaube nicht, dass irgendwelche Terroristen dahinterstecken. Auch die hätten sich zu den Taten bekannt«, entgegnete Em.
»Man kann sich nie sicher sein, was hinter so einer Aktion steckt«, sagte ihr Onkel und räusperte sich.
Frank Everett sah dem Britischen Premierminister David Cameron erstaunlich ähnlich und hätte als sein gealterter Doppelgänger durchgehen können. Seit Cameron an der Spitze der Regierung stand, betonte Frank noch die Ähnlichkeit, indem er sich ebenso frisierte und die grauen Haare tönen ließ. Em hatte sogar den Verdacht, dass Frank seitdem mehr auf sein Gewicht achtete und seine Garderobe nach dem jüngeren Staatsmann ausrichtete. Die Jahre, die er älter war, ließen sich allerdings bei aller Mühe nicht leugnen, und hin und wieder kam sein deutscher Akzent durch, besonders, wenn er aufgeregt war.
» Terroranschläge sind keine islamistische Erfindung des 21. Jahrhunderts«, fuhr Frank fort. »Die IRA bei uns, die RAF in Deutschland, die ETA in Spanien … Der ganze linke Terror …« Er starrte in sein Weinglas und schwenkte den Rest so heftig, dass er fast herausschwappte.
»Frank«, sagte seine Frau, »nicht wieder die Linker-Terror-Weltverschwörungstheorie.«
»Alan Collins hat doch keine politischen Ziele«, warf Em ein. »Er ist kein Terrorist. Er hat das entsprechende Computerwissen, und er ist offenbar wahnsinnig genug, es anzuwenden. Mehr braucht es nicht.«
»Ich rede
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