Brixton Hill: Roman (German Edition)
von Fakten, Katherine, und das ist keine Weltverschwörungstheorie. Wir haben ein Problem mit linkem Terror in Europa. Und zwar seit den Sechzigerjahren!« Frank ignorierte, was Em gesagt hatte.
»Ach, die IRA hat ihre Waffen abgegeben, und auf dem Kontinent haben sie nun auch gerade andere Probleme als ein paar Linke. Irgendwann bricht dieser ganze Eurowahnsinn zusammen«, sagte Katherine. »Eigentlich ist er das ja schon.«
»Die Occupy-Bewegung, was ist damit? Noch vor einem Jahr haben sie vor der Bank campiert.«
»Das sind Chaoten. Ich sage doch, dass Chaoten dahinterstecken. Wenn sie eine echte Mission hätten, gäbe es Bekennerschreiben. Wie Em schon gesagt hat.«
»Was weiß ich, wie sie heutzutage vorgehen. Können wir wirklich ausschließen, dass Eric das Opfer dieser selbst ernannten Weltretter war, einfach nur, weil er … in einer teuren Wohnung lebte? Oder Anwalt war? Oder … unser Neffe?« Seine Stimme bebte, ganz so, als müsste er mühsam Tränen zurückhalten.
»Frank, ja, ich bin da ganz bei dir«, sagte Katherine ruhig. »Kapitalismusgegner, Chaoten, unbedingt. Aber ic h glaube nicht an eine gut organisierte Terrorzelle.« Sie wandte sich Em zu. »Und ich glaube auch nicht an einen Einzeltäter, der es auf dich abgesehen hat. Der arme Eric …« Katherine seufzte und ließ den Blick zum Kaminfeuer gleiten.
Bei aller Trauer um ihren Bruder traf es Em trotzdem hart, wie gering die Freude darüber schien, dass sie nur zufällig überlebt hatte. Und niemand hatte sie bisher gefragt, wie es ihr ging. Man betrachtete sie, man beobachtete sie, aber man erkundigte sich nicht nach ihren Gefühlen.
»Ich darf daran erinnern, dass ich bei den beiden Anschlägen das einzige Bindeglied war und deshalb doch die Vermutung naheliegt, dass es um mich geht.«
Katherine und Frank sahen sie schweigend an.
»Gut. Verstanden«, sagte Em bitter.
»Nichts hast du verstanden.« Katherine stand vom Sofa auf, und Em dachte schon, sie wolle sie umarmen. Aber sie legte nur eine Hand auf Ems Schulter, ließ sie dort zwei Sekunden ruhen und ging dann weiter zur Anrichte, um eine neue Flasche Wein zu holen. »Wir sagen doch nur, dass wir der Polizei vertrauen, und dort werden sie sicherlich alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, wer… dir oder jemand anderem etwas antun will.« Sie setzte sich wieder, entkorkte den Shiraz und schenkte allen nach.
»Es ist so offensichtlich, dass Alan …«, begann Em.
»Ja, Liebes, und auch um ihn kümmert man sich.« An ihren Mann gewandt sagte sie: »Die Idee mit den Occupy-Leuten erscheint mir tatsächlich plausibel. Je länger ich darüber nachdenke …«
»Hallo?«, rief Em.
Katherine hob beschwichtigend eine Hand. »Die Occupy London-Bewegung. Sie hängen eng mit Anonymous zusammen. Du redest von einem Hacker. Diese Anonymous-Leute sind doch oft Hacker, nicht? Alan könnte einer von ihnen sein. Wieso bist du dir so sicher, dass er keine politischen Ziele verfolgt? Du bist unsere Nichte. Die Nichte der Everett Privatbank. Er hätte dich genauso gut entführen können. So versucht er, zusammen mit seinen Anonymous-Freunden Angst zu verbreiten. Warnungen, die zu weit gingen. Ja, warum nicht …« Nachdenklich senkte Katherine den Blick.
Und Em musste zugeben, dass an dieser Theorie durchaus etwas dran sein konnte. Alan, anfangs noch aus persönlichen Motiven daran interessiert, sich an Em zu rächen. Dann aber kommt eine politische Komponente ins Spiel … Vielleicht behauptet er anderen Aktivisten gegenüber, es ginge gar nicht um etwas Persönliches …
Sie nahm diese Gedanken mit in den Schlaf.
Als Em nun vor dem jungen Polizisten stand und ernsthaft in Erwägung zog, Alan erneut gegenüberzutreten, verspürte sie keine Angst. Selbst wenn er nicht allein hinter den Anschlägen steckte – diese Leute agierten von Computern aus. Sie hingegen wusste, wie man von Angesicht zu Angesicht Konflikte löste. In ihrem Job ging es ständig um die direkte Konfrontation, um Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen, die trotzdem alle an einem Strang ziehen mussten. Kaum eine künstlerische Probenzeit, in der man nicht irgendwann an einen Punkt kam, an dem sich alle gegenseitig anbrüllten, Em auf den Tisch hauen musste und sich anschließend alle wieder verstanden. Kaum eine Produktion, bei der es hinter den Kulissen nicht zu menschlichen Tragödien mindestens klassischen Ausmaßes kam. Em hatte es schon oft geschafft, die größten Feinde wenigstens für die Zeit einer
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