Brixton Hill: Roman (German Edition)
lachte, aber es klang bitter. »Das würden sie sich bei den Behörden wirklich wünschen. Eine Mitgliederliste von Anonymous. Mit Namen und Adressen.«
»Ergibt wenig Sinn. Ich verstehe schon. Aber man darf ja mal träumen.«
»Verstehst du es wirklich? Es widerspricht natürlich dem Sinn von Anonymous. Dass man immer anonym bleiben kann, ohne beispielsweise bei politischen Aktionen Angst haben zu müssen, von Geheimdiensten verfolgt zu werden. Dass die eigenen Daten nicht einfach gespeichert und gesammelt werden können. Es geht um echte Freiheit und echte Demokratie. Jeder kann sich Anonymous nennen. Jeder kann sich bei einer Demo eine Guy-Fawke s-Maske aufsetzen. Und jeder kann von einer anonymen Adresse aus schreiben: Erwarte uns .«
»Ja, ich hab’s kapiert. Wirklich. Und was jetzt?«
»Ich weiß es nicht.«
»Ich kann nicht einfach hier rumsitzen. Ich muss doch jemandem Bescheid sagen, wo ich bin.«
»Warte, ich such dir die Nummer von Scotland Yard raus«, sagte Jay.
»Haha. Also soll ich einfach untertauchen?«
»Du kannst ein paar Leuten eine anonymisierte Mail schicken, damit sie wissen, dass du okay bist.«
»Mach ich.«
»Was ist mit deiner Arbeit?«
Em schüttelte den Kopf. »Das nächste Projekt ist noch eine Weile hin.« Sie sah ihn an. »Ich muss rausfinden, wer hinter mir her ist. Das muss doch irgendwie rauszufinden sein?«
»Wie denn?«
»Na, über Twitter? Muss man sich nicht mit einer Mailadresse anmelden?«
»Vergiss es. Wenn es jemand drauf anlegt, findet man den Absender nie. Und Twitter rückt die Daten sowieso nicht einfach raus. Ich halte das für Zeitverschwendung.«
»Aber was, wenn doch? Also, wenn derjenige doch seinen eigenen Rechner benutzt hat? Kann man das nicht irgendwie rausfinden? Irgendwie muss doch was passieren. Ich meine, was soll ich denn jetzt machen? Warten, dass der mich findet und umbringt? Und ich weiß nicht mal warum?«
»Ich glaube, bevor wir die totale Überwachung zugunsten der Früherkennung potenzieller Gefahren diskutieren, wäre ein bisschen Schlaf ganz gut«, sagte Jay und verließ die Küche.
»Ja«, murmelte Em und starrte auf den Kühlschrank. »Und danach sieht die Welt ganz anders aus.«
Kapitel 24
N iemand kann voraussagen, welches Stadtviertel das nächste ist. Erst wenn der Wandel bereits eingetreten ist, weiß man es. Wenn sich nach den einkommensschwachen, aber kulturell interessierten Studenten und Künstlern auch die einkommensstärkere Population nied erlässt. Irgendwann in dieser Phase bilden sich die neuen Strukturen heraus. Cafés, Restaurants, Geschäfte ändern sich. Die Gegend passt sich den neuen Bewohnern an. Die neuen Bewohner versuchen, den Geist der Gegend aufzunehmen, indem neue Bauwerke an alte erinnern sollen oder ein Laden einen entsprechenden Namen bekommt. Man versucht, sich einzugliedern. Die, die zuvor schon dort gelebt haben, fühlen sich verdrängt und finden das mit dem Eingliedern ziemlich daneben. Sie wollen einkaufen, wo sie schon immer eingekauft haben – die neuen Läden sind anders im Sortiment und vor allem teurer, weil sie sich an andere Menschen mit anderen Bedürfnissen und anderem Einkommen richten. Die neuen Lokale werden von den Neuen genutzt. Wer schon immer dort lebt, geht an seine alten Stammplätze, sofern es sie noch gibt. Eine wirkliche Vermischung findet nicht statt. Zwei sich fremde Welten, die nicht koexistieren wollen, ziehen in den Krieg. Es gewinnt, wer das Geld hat. Egal, mit welchen Waffen die andere Seite kämpft.
Kapitel 25
A ls Em aufwachte, war es noch nicht ganz zehn. Jay war nicht da. Sie ging ins Bad, zog sich an, suchte nach etwas zu essen. Jay kam zur Haustür herein, als sie sich mit einem Stück Brot in der Hand suchend umsah.
»Backofen.«
»Backofen?«
»Rösten. Wir haben keinen Toaster, falls du den suchst. Ich war einkaufen.« Er stellte zwei volle Plastiktüten auf den Boden, nahm ihr das Brot aus der Hand und legte es auf den Backofenrost.
Em beobachtete ihn misstrauisch.
»Ich muss gleich was arbeiten«, fuhr er fort. »Was hast du heute vor?«
Sie hob die Schultern. »Nicht viel. Rauskriegen, wer meinen Bruder umgebracht hat … So Zeugs halt.«
»Deinen Bruder und Alan.«
»Von mir aus.«
»Tut es dir kein bisschen leid? Ich meine, du mochtest ihn doch mal?« Er klang feindselig.
Em nahm die Einkaufstüten und packte den Inhalt aus. »Kommt das alles in den Kühlschrank?«, fragte sie.
Jay starrte sie an.
»Was? Doch nicht in den
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