Brixton Hill: Roman (German Edition)
festzunehmen.
Vielleicht hatte wieder jemand Beweise manipuliert, so wie bei dem Anschlag auf den Limeharbour Tower. Falsche Spuren gelegt, die direkt zu ihr führten. Und nun sah es so aus, als hätte sie Alan umgebracht.
Erst jetzt drang es richtig in ihr Bewusstsein: Drei Menschen aus ihrem Umfeld waren nicht einfach nur gestorben, sondern getötet oder in den Tod getrieben worden. Warum jetzt Alan? Was bedeutete das? Hatte Jay recht gehabt, und Alan hatte ihr wirklich nur helfen wollen? Dann wäre Alan also auch ihretwegen gestorben. Nur – was hatte sie getan? Wem war sie im Weg? Warum wollte jemand sie töten? Alan war der Einzige mit einem Motiv gewesen: enttäuschte Liebe. Gab es einen anderen Mann, der sich an ihr rächen wollte? Ihr fiel keiner ein. Sie hielt ihre Affären normalerweise oberflächlich und ohne nennenswerte emotionale Verbindlichkeiten. Jedenfalls versuchte sie es. Und wenn sie merkte, dass sie sich verliebte, ging sie einfach. Niemand hatte sie in den letzten Wochen und Monaten belästigt – außer Alan. Niemand war länger als ein paar Tage sauer auf sie gewesen, wenn sie Schluss gemacht hatte – außer Alan, und mit dem hatte sie nicht einmal geschlafen. Beruflich gab es keinen Grund, sie aus dem Weg räumen zu wollen. Wenn ihr jemand dauerhaft schaden wollte, ginge dies auch einfacher und unblutiger. Ihr fiel absolut nichts ein. Und trotzdem wollte jemand, dass sie starb.
Em nahm ihr Telefon und ging auf Twitter. Sie suchte die Nachricht heraus, die sie vor zwei Tagen erhalten hatte und von der sie sicher gewesen war, dass Alan sie ihr geschickt hatte. War er zu der Zeit schon tot gewesen? Sie suchte bei Twitter und fand mehrere Links zu Artikeln, in denen zwar nicht mehr stand, als die offizielle Pressemeldung der Polizei hergab, aber immerhin war bekannt, dass der Themsetote mindestens zwei Tage im Wasser gelegen haben musste.
Zwei Tage.
Vor zwei Tagen war er verschwunden. Vor zwei Tagen hatte sie eine Nachricht bekommen. »Es ist noch nicht vorbei.« War damit gar nicht gemeint, dass sie sterben sollte? Sondern noch jemand, den sie kannte? Selbst wenn es so war – warum? Wer tat ihr das an? Konnten all diese Ereignisse Zufall sein, und die seltsamen anonymen Nachrichten kamen von jemandem, der sich einfach nur einen Spaß erlauben wollte?
Em beschloss, es auszuprobieren. Sie schaltete das GPS aus, um nicht geortet werden zu können und keine Geodaten zu übertragen. Sie prüfte, ob irgendetwas bei Facebook oder Twitter zu sehen war, das verraten könnte, wo sie sich gerade befand. Dann schrieb sie auf Twitter:
versuch doch, mich zu finden.
Alan konnte nicht mehr antworten. Ein Spaßvogel – ein sehr makaberer – war natürlich weiterhin nicht auszuschließen. Sie wartete, las sich ihre Timeline durch, schaute bei Facebook, checkte Mails, las Nachrichten. Dann merkte sie, wie kalt ihr geworden war. Sie sah auf die Uhr, es war halb fünf Uhr morgens. Immer noch keine Antwort.
Em stand auf und machte sich auf den Weg zu Jays Haus. Nach zehn Minuten war sie da, und diesmal brannte Licht in seinem Zimmer. Sie klopfte an die Tür, und er öffnete, vollständig bekleidet, hellwach. Seine Augen waren allerdings gerötet, die Lider leicht geschwollen.
»Komm rein«, sagte er.
»Ein bisschen mehr Überraschung hätte ich jetzt schon erwartet.«
»Deine Tasche steht in meinem Zimmer.«
Das hatte sie vergessen. »Oh. Ja.«
»Ich muss wohl doch mal die Küchentür reparieren.« Er ging vor und führte sie in die Küche. »Setz dich.«
Sie tat es. Er blieb stehen und lehnte sich an den Kühlschrank. Em musste an Alan denken. Als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte er sich genauso an den Kühlschrank gelehnt.
»Du weißt, dass sie Alan gefunden haben?«
Sie nickte. »Deshalb bin ich hier. Sie denken, ich war das.«
»Warst du es?«
»Also wirklich.«
»Er ging dir auf die Nerven. Du hast ihn schwer belastet und nicht lockergelassen mit deinen Unterstellungen. Dabei hat er dir nur helfen wollen. Du hast so ungefähr das stärkste Motiv, das ich mir vorstellen kann.«
»Ich war heute auf zwei Trauerfeiern. Ich habe viel zu viel getrunken und müsste langsam mal wieder schlaf en. Ich bin im Moment aus verständlichen Gründen sehr dünnhäutig. Sag mir einfach, was du denkst. War ich’s?«
»Nein.«
»Aha. Kann ich hierbleiben? Ich weiß nicht, wo ich sonst hingehen soll. Das ist vermutlich der einzige Ort, an dem mich die Polizei nicht suchen wird.«
»Hast du
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