Brixton Hill: Roman (German Edition)
denkst, er hat an der falschen Stelle herumgekratzt, während er Frank ausspionieren wollte, und es ist irgendwem aufgefallen?«
»Wir haben nach etwas gesucht, um Braidlux zu schaden. Dass sie nette Leute ohne Geld mit unfeinen Methoden aus ihren Bruchbuden jagen, damit sie Luxuswohnungen bauen können, interessiert niemanden, es sei denn, man ist selbst betroffen. Der Rest zuckt mit den Schultern: Geschäfte eben. Wir wollen Dreck aufwirbeln. Egal was. Hauptsache, es sorgt für mehr als Schulterzucken. Alan meinte irgendwann, er sei an etwas dran.«
»Warum hat er dir nicht gesagt, was es war?«
»Weil – und das ist die einzige Erklärung, die ich habe – er gleichzeitig deine Leute ausspioniert hat und dabei wohl auf etwas gestoßen ist, dass dir nicht gefallen könnte, weil dein Onkel bis zum Hals bei Braidlux drinsteckt, wie wir jetzt wissen. Alan wollte erst mit dir reden, bevor er es mir sagt. Offenbar ist er aufgeflogen.«
»Wie, aufgeflogen? Frank?«
»Nein, Alan. Hacker können natürlich auffliegen. Jemand merkt, dass er gehackt wurde, und verfolgt jetzt den Hacker.«
»Er hat also im falschen Schreibtisch die Schubladen durchwühlt und ist erwischt worden?«
»So ungefähr.«
»Oh.«
»Genau. Alan wollte dir Material schicken. Dich warnen.«
Em atmete langsam aus. »Und ich hab alles gelöscht.«
»Oder sprengen lassen.«
»Scheiße. Und jetzt?«
»Müssen wir versuchen rauszufinden, was Alan rausgefunden hat. Allerdings vermute ich mal, dass sie ihre Daten jetzt deutlich besser gesichert haben, nachdem Alan schon drin war.«
»Das heißt, es wäre wahrscheinlich Zeitverschwendung, es zu versuchen.«
»Wahrscheinlich«, bestätigte Jay.
»Aber gibt es eine andere Möglichkeit?«
»Ja. Die Entscheidung liegt allerdings bei dir.«
»Bei mir.«
»Ja. Du nimmst wieder Kontakt auf.«
Zehn Minuten später schrieb Em auf ihrem Twitteraccount:
ich lebe noch.
Diesmal kam die Antwort überraschend schnell. Wieder von einem eigens angelegten Account, der nur diese eine Nachricht verschickte:
zähl die stunden, die dir bleiben.
Kapitel 36
S ie stiegen an der Haltestelle Westminster aus und überquerten die Brücke. Das St Thomas’ Hospital bestand aus mehreren großen grauen Klötzen, die gegenüber den Parlamentsgebäuden direkt am Themseufer lagen. Em wusste, dass sie in dem touristischen Trubel nichts zu befürchten hatte. Sie war heute noch einmal bei einer Ärztin gewesen. Die Naht musste geöffnet und die Wunde mit einem Antibiotikum behandelt werden, weil sie sich entzündet hatte. Diesmal bat Em darum, die Kompresse mit Pflastern zu fixieren und den Verband wegzulassen. Sie kaufte sich an einem Marktstand Armstulpen, die sie so weit vorzog, dass nur noch ihre Finger hervorschauten. Die Verletzung an der Hand würde niemandem auffallen. Die Leute starrten außerdem auf ihre Stirn, wo die Beule langsam Farbe annahm. Jay kaufte ihr an einem anderen Stand noch eine Wollmütze, damit sie auch diese verdecken konnte. Seine bunte Mütze, die er ihr gegeben hatte, trieb die Themse hinunter und war auf dem Weg in die Nordsee.
Auf der Westminster Bridge blieb er nun stehen, und Em dachte erst, er schaue sich das London Eye an.
»Bist du schon mal damit gefahren?«, fragte sie ihn.
»Ich? O nein. Bloß nicht. Du etwa?«
»Vor Jahren hat mich mal jemand mitgeschleppt.«
»Und?«
»Ganz schön. Vor allem aber ganz schön hoch.«
»Du hattest echt Glück«, sagte Jay. »Du hattest so ein verdammtes Glück, dass du aus diesem Drecksfluss wieder rausgekommen bist.« Er sah in Richtung Waterloo Bridge. Dahinter machte die Themse einen Knick, und die nächste Brücke war die Blackfriars Bridge. Unter der sie fast ertrunken wäre.
»Komm, lass uns den Patienten besuchen«, sagte sie. »Vielleicht hat er ja ein Zimmer mit Aussicht.«
»Auf die Parlamentsgebäude und Westminster Abbey? Das wird seiner politischen Gesinnung nicht wohltun.«
»Aber vielleicht den Heilungsprozess beschleunigen. Weil er schnell wieder weg will.«
Jay lachte.
Sie schlängelten sich durch Touristengruppen, die aus den roten Doppeldeckerbussen quollen. Auf dem Gelände des St Thomas’ fragten sie sich tapfer durch, bis sie endlich die richtige Station und dann auch Tobs’ Zimmer gefunden hatten.
Jay sollte recht behalten: Seine Kollegen hatten das Interesse verloren. Kein Journalist war mehr zu sehen. Gänzlich unbehelligt gelangten sie an das Krankenbett des Studenten. Em erschrak, weil er schlimmer aussah
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