Brixton Hill: Roman (German Edition)
sogenannte Erstakademiker. Das Studium war teuer, das Leben in London ebenfalls. Aber sie hatten Träume, Wünsche und Pläne, sie kamen bei den Männern gut an, und sie hatten kein Problem damit, ihre Körper einzusetzen. Becca sah es sogar als – sehr lukratives – Spiel. Linda hatte offenbar gelernt, Gefühle und Sex zu trennen. Sie war neunzehn. Em konnte nur ahnen, warum sie dazu in der Lage war. Die Narben an Lindas Beinen erzählten eine dunkle Geschichte.
Gegen eins kam Em in Brixton an. Sie klopfte an Jays Tür, und er riss sie fast sofort auf.
»Gott sei Dank.« Jay packte sie am Arm und zog sie rein. »Wo zum Teufel warst du?«
»Zur Begrüßung gleich mal die Eckpfeiler der christlichen Mythologie. Ich freu mich auch, dich zu sehen.« Sie ging an ihm vorbei in sein Zimmer und ließ sich auf die Couch fallen. Ihr Bettzeug von vorletzter Nacht lag noch genauso da, wie sie es zurückgelassen hatte. Sie fragte sich, wann sie wieder in einem richtigen Bett, in ihrem eigenen Bett schlafen würde. »Ich war in Bethnal Green. Und gestern Abend habe ich mit meinem Onkel geredet.« Sie erzählte ihm alles, was geschehen war. Jay sah sie kopfschüttelnd an.
»Und da meldest du dich nicht mal zwischendurch?«
»Handy, Themse, Wasserschaden …«
»O Scheiße, ja.« Wieder schüttelte er den Kopf. »Das hätte wirklich schiefgehen können.«
»Ich weiß.«
»Du gehst nicht mehr alleine irgendwohin.«
»Ja. Klar.«
»Ich meine das ernst. Warum bist du einfach so abgehauen, gestern Nachmittag? Hast du mitbekommen, was mit Tobs passiert ist?«
»Zu Frage eins: Polizei. Sucht mich. Schlechtes Timing, um entspannt nach dir zu sehen, damit wir gemeinsam nach Hause fahren und Kaffee trinken. Das mit Tobs: Rate, wer ihm den wild gewordenen Schläger in Uniform vom Leib gehalten hat. Stand sogar in der Zeitung.«
»Verstehe.« Jay sah aus, als würde er gleich losheulen. Oder auf andere Art emotional überlaufen. Er wirkte jedenfalls keineswegs so, als würde er irgendetwas verstehen.
»Jay, hör zu, ich glaube, ich brauche dich.«
»Das denke ich aber auch.« Er setzte sich neben sie aufs Sofa. Dann umarmte er sie und hielt sie lange fest. »Ich bin so scheißfroh, dass dir nichts passiert ist«, sagte er schließlich und ließ sie los.
Em spürte, dass sie rot geworden war. Sie wandte das Gesicht von ihm ab und murmelte: »Ich muss … mein Onkel … irgendwas stimmt da nicht.«
»Tobs hat gemailt«, sagte Jay und ging zu seinem Rechner. »Gerade vor ein paar Minuten. Er meinte, jemand hätte uns an die Polizei verraten. Ich denke, ich fahre nachher mal ins Krankenhaus und rede mit ihm. Kommst du mit?«
»Bist du wahnsinnig? Da steht eine Meute Journalisten und wartet auf mich.«
»Alles meine Kollegen«, sagte Jay. »Da kann ich dich dran vorbeischleusen. ›Meine Praktikantin!‹, werde ich rufen.« Er grinste. »Nur mit dem Verband müssen wir uns was einfallen lassen. Wie geht’s der Wunde eigentlich?«
»Danke. Die Beule und der aufkommende Schnupfen lassen sie mich fast vergessen.«
» Ich glaube übrigens nicht, dass da noch besonders viel los ist. Die Story ist raus, die Polizei blamiert, Tobs vergessen.«
»Okay.« Em klang nicht sehr überzeugt.
»Aber du wolltest noch was wegen deinem Onkel?«
»Ich glaube, dass sein Freund Robert ihn erpresst. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, so wie mein Onkel reagiert hat. Und ich kann mir auch vorstellen, womit er erpresst wird. Aber ich habe keine Ahnung warum.«
»Klingt ein bisschen vage. Irgendwelche Fakten?«
»Nur Vermutungen.«
»Vage.«
»K eine wasserdichte Story für die Titelseite.« Sie lächelt e freudlos.
Jay tat ihr den Gefallen, trotzdem den Gedanken we iterzuspinnen. »Vielleicht weiß dein Onkel was über Robert Hanford, und sie halten sich so gegenseitig in Schach?«
»Oder er soll irgendetwas für ihn tun …«
»Du glaubst jetzt also doch, dass dein eigener Onkel …?«
»Welchen Grund soll er haben? Warum mich ausschalten? Wegen Braidlux? Ich meine, er könnte ja auch erst mal mit mir reden, worum auch immer es gehen mag. Ich sehe weit und breit keinen Grund! «
»Und Robert Hanford?«
Sie hob die Schultern. »Warum sollte der mich umbringen wollen?«
»Ich bin ein Idiot«, sagte Jay leise. »Alan.«
»Bitte?«
»Natürlich. Alan. Er hat dich gestalkt. Er hat versucht, alles über die herauszufinden. Er hat natürlich auch jeden deiner Verwandtschaft gestalkt.«
»Oh …« Sie verstand vage, was er meinte. »Du
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