Brockmann Suzanne
geschah. Sie würde tun, was immer zu tun war, selbst wenn das bedeutete, erneut zu versuchen, sich mit diesen Dreckskerlen zu arrangieren.
„Tut mir leid, dass ich die Beherrschung verloren habe. Shantel“, rief sie einem der Mädchen zu, ohne den Blick von Morrison und seinen Schlägern zu wenden, „geh in die Küche und frag, wo Pater Timothy mit der Limonade bleibt. Er möchte bitte sechs weitere Pappbecher für Mr Morrison und seine Freunde mitbringen. Ich glaube, wir können alle ein wenig Abkühlung vertragen.“
Vielleicht wirkte das ja. Bring sie mit Freundlichkeit um, und ertränke sie mit Limonade …
Die Zwölfjährige lief rasch hinüber zur Kirchentür.
„Wie wäre das, Jungs?“ Colleen zwang sich zu einem Lächeln und betete still, dass ihre Strategie wenigstens diesmal wirkte. „Limonade?“
Morrison verzog keine Miene. Sicher würde er gleich noch näher kommen und ihr sagen, sie solle sich ihre Limonade sonst wohin stecken und es nur versuchen, ihm den Mund mit Seife auszuwaschen. Dann würde er sie als Lesbe bezeichnen – lächerlicherweise und nur, weil sie ohne Honorar für die Aids-Hilfe arbeitete, die verzweifelt versuchte, sich in diesem engstirnigen und doch so bedürftigen Viertel zu etablieren. Und dann würde er ihr „großzügig“ anbieten, sie mit einer unvergesslichen Viertelstunde in der nächsten dunklen Seitenstraße von dieser Verirrung zu kurieren.
Beinahe wäre es witzig gewesen. Beinahe. Denn leider meinte Morrison es absolut ernst. Er hatte ihr gegenüber schon mehrfach ähnliche Drohungen ausgestoßen.
Aber jetzt sagte er überraschenderweise kein einziges Wort. Er musterte die hinter ihr stehenden Zwölf- bis Vierzehnjährigen lange und finster, wandte sich dann abrupt ab und murmelte irgendetwas Unaussprechliches in seinen Bart.
Verblüffend. Seine Schläger und er zogen ab. Einfach so.
Colleen starrte ihnen nach und lachte leise und ungläubig in sich hinein.
Sie hatte es geschafft. Sie hatte sich nicht unterkriegen lassen, und Morrison hatte einen Rückzieher gemacht, ohne dass die Polizei oder der Gemeindepfarrer eingriffen. Wobei Pater Timothy mit seinen hundertzwanzig Kilo Lebendgewicht keine echte Hilfe gewesen wäre, sondern ein potenzielles Herzinfarkt-Opfer. Sein Nutzen in einem Faustkampf wäre jedenfalls äußerst beschränkt.
Hinter ihr war es seltsam still. Kein Wasserplätschern, nichts. Sie drehte sich um: „Okay, Leute, das war’s. An die …“
Colleen ließ den Schwamm fallen.
Bobby Taylor. Da stand Bobby Taylor. Genau hinter ihr auf dem Parkplatz von St. Margaret. Irgendwie war der beste Freund ihres Bruders wie aus dem Nichts hier aufgetaucht, als hätte eine gute Fee Colleens dringlichsten Wunsch erfüllt.
Er trug ein Hawaiihemd und Cargo-Shorts und hatte die Haltung eines Superhelden eingenommen: die Beine leicht gespreizt, die muskulösen Arme vor dem mächtigen Brustkorb verschränkt. Seine Augen blickten hart und kalt aus einem versteinerten Gesicht. Mit sichtbarem Zorn schaute er John Morrison und seiner Gang nach. Sein Gesichtsausdruck war einstudiert, eine leichte Abwandlung seines „Kriegs-Gesichts“.
Colleen hatte sich mehr als einmal fast totgelacht, wenn er und Wes bei ihren nur allzu seltenen Besuchen zu Hause vor dem Badezimmerspiegel ihre „Kriegs-Gesichter“ übten. Sie hatte das immer für albern gehalten. Welche Rolle spielte schon ihr Gesichtsausdruck, wenn sie sich für einen Kampf wappneten? Bis jetzt. Jetzt sah sie, dass der finstere Ausdruck auf Bobbys sonst so freundlichem und attraktiven Gesicht überraschend wirkungsvoll war. Er ließ ihn unnachgiebig, zäh und sogar fies erscheinen – gerade so, als könnte er seinen Spaß daran haben, John Morrison und seine Freunde in Stücke zu reißen.
Aber dann schaute er sie an und lächelte – und Wärme erstrahlte in seinen dunkelbraunen Augen.
Er hatte die schönsten Augen der Welt.
„Hey, Colleen!“, begrüßte er sie typisch gelassen und unbekümmert. „Wie geht’s?“
Er streckte ihr seine Arme entgegen, und wie der Blitz rannte sie zu ihm und fiel ihm in die Arme. Er roch schwach nach Zigarettenrauch – das hatte er zweifellos ihrem Bruder zu verdanken, Mr Ich-rauche-nur-noch-eine-bevor-ich-aufhöre – und nach Kaffee. Er war warm, riesig, beruhigend stabil und außerdem einer der ganz wenigen Männer der Welt, neben denen sie sich zwar nicht winzig fühlte, aber doch ziemlich klein.
Sie hätte sich nicht nur wünschen sollen, dass er hier
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