Brockmann Suzanne
hinterfragten nichts, folgten einfach dem Regelbuch und überließen anderen die Führung. Doch bei allem, was sie taten, sahen sie gut aus. Sei es im schwarzen Anzug mit Sonnenbrille oder auf dem Paintballfeld mit gelben Farbspritzern im Gesicht.
Sie waren Tim Farbers Anweisungen wie die Lemminge gefolgt und von dem Hinterhalt der vermeintlichen Terroristen völlig überrascht worden. Ein Glück für sie, dass nichts davon Ernst, sondern alles nur Training war. Im Ernstfall wären sie unweigerlich gefallen.
Und trotzdem schienen sie immer noch nicht gelernt zu haben, dass es keine gute Idee war, Farber blind zu folgen. Selbst nach den Erfahrungen des heutigen Tages schienen sie immer noch an seinen Lippen zu hängen. Höchstwahrscheinlich deshalb, weil ihnen irgendein Vorgesetzter gesagt hatte, das sollten sie tun.
Nur einer der vier Superagenten hatte es gewagt, Farbers Entscheidungen infrage zu stellen.
P. J. Richards.
Harvard sah sich in der Bar um, aber er konnte sie nirgendwo entdecken. Wahrscheinlich war sie auf ihrem Zimmer und nahm ein heißes Bad, während sie sich die Beule am Hinterkopf kühlte.
Verdammt, er sah immer noch vor sich, wie sie wie eine Puppe durch die Luft geschleudert wurde, nachdem der Paintball sie getroffen hatte. Er war schon lange nicht mehr in der Kirche gewesen, aber in diesem Moment hatte er ein Stoßgebet gen Himmel geschickt. Lieber Gott, lass sie sich nicht ihr hübsches Genick brechen!
Es kam immer wieder vor, dass Männer beim Training ums Leben kamen. Das war Teil des Berufsrisikos als SEAL. Aber P. J. war weder ein Mann noch ein SEAL. Der Gedanke, dass sie da draußen den gleichen Gefahren ausgesetzt war, denen er und seine Kollegen so selbstverständlich begegneten, versetzte Harvard in Angst und Schrecken.
„Hey, Senior Chief! Ich hatte nicht damit gerechnet, dich hier zu sehen.“ Lucky O’Donlon hatte gerade einen Krug Bier an der Bar geholt.
„Und ich habe nicht mit dir gerechnet, O’Donlon. Ich war sicher, du würdest die erstbeste Gelegenheit nutzen, um dich mit deiner Freundin zu treffen.“
Harvard folgte Lucky zu dem Tisch, an dem Wes und Bobby saßen. Er begrüßte die beiden unzertrennlichen Freunde mit einem Kopfnicken. Sie waren wirklich ein ungleiches Paar. Bobby Taylor war beinahe so groß wie Harvard, bestimmt eins achtundneunzig. Seine Gestalt schien dabei beinahe genauso breit wie hoch zu sein. Wenn er nicht unbedingt ein SEAL hätte werden wollen, wäre ein guter American-Football-Spieler aus ihm geworden. Wes Skelly hingegen war der Popeye der Alpha Squad, von kleiner drahtiger Statur, sein Körper war über und über tätowiert. Was ihm an Größe und Gewicht fehlte, machte er durch seine riesige Klappe wett.
„Renee ist bei einem Meeting für einen überregionalen Schönheitswettbewerb.“ Lucky setzte sich und schob Harvard mit dem Fuß einen Stuhl entgegen. Nachdem er erst Bobby und dann Wes Bier nachgeschenkt hatte, fragte er Harvard: „Soll ich dir ein Glas holen?“
„Nein, danke.“ Harvard schüttelte den Kopf und setzte sich zu seinen Teamkollegen. „Was hat deine Renee kürzlich gleich wieder für einen Titel gewonnen? Miss Virginia Beach?“
„Miss East Coast Virginia“, erwiderte Lucky.
„Sie ist ein hübsches Mädchen. Hübsch und jung .“
Lucky grinste bis über beide Ohren und zeigte dabei sein perfektes Lächeln. Die Tatsache, dass seine Freundin noch keine neunzehn war, schien ihn mit Stolz zu erfüllen. „Wem sagst du das?“
Harvard musste unwillkürlich lächeln. Jedem das Seine. Er persönlich bevorzugte Frauen mit etwas mehr Lebenserfahrung.
„Hey, Crash!“, rief Wes in Megafonlautstärke. „Hol dir einen Stuhl!“
William Hawken, der jüngste Neuzugang der Alpha Squad, setzte sich Harvard gegenüber; die beiden Männer nickten einander kurz zu. Anders, als sein Spitzname vermuten ließ, konnte Crash sich in jeder Situation vollkommen unauffällig und lautlos bewegen. Er war alles andere als durchschnittlich. Seine stahlblauen Augen fielen sofort auf. Crash sah sich nicht einfach nur in einem Raum um. Er saugte ihn auf, verinnerlichte ihn, speicherte ihn ab – und das wahrscheinlich für immer. Unter seiner lässigen Kleidung verbarg sich der Körper eines Langstreckenläufers, rank und schlank und mit nicht einem überflüssigen Gramm Fett.
„Nimm dir ein Bier“, forderte Lucky Crash auf.
Doch der schüttelte seinen Kopf. „Nein danke“, sagte er mit seiner charakteristisch ruhigen Stimme.
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