Broken (German Edition)
überhaupt ein Mann gestanden hatte. Die meisten Leute, die Aufputschmittel nehmen, nehmen auch Pillen, um wieder runterzukommen. Wer weiß, was sie noch alles im Körper hatte. Und dann war da noch die Sache mit Marko und dem Essen. Sie hatte total verblüfft gewirkt, als hätte sie tatsächlich vergessen, im Restaurant angerufen zu haben. Das alles gab mir schwer zu denken.
Ich blickte auf die Uhr in meinem Handydisplay. «Ich muss los. Jemand hat einen Gerichtstermin platzenlassen.» Ich ging zur Couch und zog mir die Schuhe an. «Ich muss ihn einkassieren.»
Miki folgte mir. «Ein Kautionsflüchtling? Ich will mitkommen. Ich hol meine Kamera.»
«Das ist keine gute Idee.»
«Ach, komm schon. Ich kann dir doch Gesellschaft leisten. Ich drehe den Herd ab, und los geht’s.»
Ich schwieg.
«Keye, sieh mich an. Ich bin völlig klar im Kopf.»
Wenn das wahr wäre, hätten wir kein Tablett mit Essen vom Restaurant in der Küche stehen. Ich schaute in ihre blauen Augen. Ich war fest entschlossen, ihr zu sagen, dass sie auf keinen Fall mitkommen konnte. Aber sie hatte diesen Blick aufgesetzt – wie ein Tier im Käfig. Ich kannte ihn gut. «Okay, aber du tust, was ich sage. Das ist mein Job.»
Miki küsste mich auf die Stirn. «Ich bin ganz brav. Versprochen.» Sie hüpfte den Flur hinunter, um ihre Ausrüstung zu holen. «Ist es gefährlich?», rief sie aus dem Gästezimmer.
«Nur wenn du Angst vor Popeln hast.»
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6
D ie Zeit zwischen fünf und sechs eignet sich prima, um Kautionsflüchtlinge zu schnappen. Anscheinend glauben Südstaatler, dass ihnen da nichts passieren kann. Sie sind gerade von der Arbeit nach Hause gekommen und bereiten das Abendessen zu. Sie haben die Außenwelt hinter sich gelassen und sich in die Sicherheit ihrer vier Wände begeben. Bei uns zu Hause war diese Zeit heilig. Niemand kommt zu Besuch, es sei denn, er möchte einen Platz am Tisch. Das gehört sich einfach so. Keine Bettler und Hausierer. Keine Anrufe. Meine Eltern hatten es damit furchtbar genau genommen. Mutter kochte für ihr Leben gern, und wenn sie den ganzen Tag in der Küche gestanden hatte, nur um unsere Gesichter beim Essen leuchten zu sehen, dann wehe uns, wenn unsere Gesichter nicht im richtigen Augenblick leuchteten, weil sie dann nämlich einen Koller bekam. Und Emily Streets Koller waren nicht von schlechten Eltern.
Um nicht aufzufallen, nahmen wir meinen ramponierten 97er Neon und fuhren zu der Siedlung Sunshine Duplexes in Chamblee, unweit der I-285. Die eingebeulte Motorhaube war eine Erinnerung daran, dass es unsäglich dumm ist, beim Fahren zu simsen.
Es war eine sozial schwache Gegend, ethnisch gemischt, mit einem hohen Anteil koreanischer, vietnamesischer und hispanischer Immigranten. Wir befanden uns nicht weit vom Buford Highway, dem Areal in Atlanta, wo man so gut wie jede Art von Landesküche bekam, die das Herz begehrte, von Japanisch bis Äthiopisch und alles dazwischen. Und jemand, dessen Englisch oder Greencard nicht vorzeigbar war, hatte dort gute Chancen, einen anständigen Job zu bekommen.
«Was hat der Typ eigentlich ausgefressen?», wollte Miki wissen. Sie hatte ihre Kamera umgehängt.
Ich gab ihr die Kurzfassung und ließ gewisse Einzelheiten aus, die mit Wriggles’ versuchter DNA-Übertragung zu tun hatten. «Er hat einen Minimarkt überfallen.»
Sie überprüfte ihre Kamera. Das Licht würde noch eine Weile reichen. Sie beugte sich mit der Kamera vor dem Auge zum Fenster hinaus. Von wegen nicht auffallen. Ein paar Jungs mit Baseballhandschuhen und einem Schläger spielten auf dem löchrigen Asphalt. Grünflächen gab es keine. Die ganze Siedlung war asphaltiert, rissig, vergessen. «Das ist phantastisch», sagte sie. «Lass mich raus.»
Ich parkte vor einem leerstehenden Doppelhaus. Betreten-Verboten -Schilder hingen an den mit Brettern vernagelten Fenstern. Der Asphalt war so großflächig aufgebrochen, dass die kleine Zufahrt fast vollständig mit Unkraut überwuchert war. Ein flaches Blechdach, das früher mal ein Carport gewesen war, hing hoffnungslos durch. Miki stieg aus und ging zu den spielenden Jungs. Miki konnte gut mit Jungs jeden Alters umgehen.
Ich warf noch einmal einen Blick in Wriggles’ Akte. Er war weiß und eins zweiundachtzig groß. Das Foto zeigte eine Stirnglatze und einen straßenköterbraunen Afro – ein Steven Wright für Arme. Dass er in eine Gegend gezogen war, wo er auffallen würde wie ein bunter Hund, wo er doch eigentlich
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