Broken (German Edition)
stehen. Ich starrte sie ein paar Sekunden lang an, dann schloss ich die Hände darum, um sie hier in meiner Küche zu spüren – das glatte Glas, die Form. Das alles war Teil des Suchtrituals. Es geht nicht bloß um den Inhalt. Wenn ich Alkohol will, dann will ich ihn mit dem ganzen Körper. Mit Augen und Nase und Mund und Fingerspitzen.
Ich schraubte die Kappe ab, hob die Flasche an die Nase, schloss die Augen, atmete behutsam ein. Es war so lange her. Und noch immer so vertraut. Mein ganzer Körper genoss den warmen, holzigen Duft.
Bloß einen. Was ist schon dabei?
Ich nahm ein Glas aus dem Schrank, stellte es neben die Flasche, goss dann zwei Fingerbreit ein und ließ den Whiskey kreisen, sah zu, wie er das Glas beschichtete, an den Seiten haftete wie flüssiges Gold. Ich konnte ihn in der Kehle und in der Brust spüren, bis hinunter zum Magen.
Ich hob das Glas nicht an die Lippen. Ich goss es auch nicht aus.
Ich ging ins Wohnzimmer, wo ich einen Computertisch mit Blick auf die Peachtree Street habe, das einzige Möbelstück, das ich mir im letzten Jahr für meine weitläufige, fast leere Loftwohnung zugelegt habe. Ich kaufe hier und da ein Stück, wenn mir etwas passend erscheint und ich Geld in der Tasche habe. Was nicht immer gleichzeitig der Fall ist. Der Tisch ist elegant und weiß, nierenförmig, mit einer Ausziehablage für meinen Laptop, eine moderne Extravaganz, der ich nicht widerstehen konnte.
Ich setzte mich, nahm einen Stift zur Hand. Ich konnte nur noch an das Glas denken, das in der Küche stand, hatte das Aroma in der Nase. Verdammte Miki. Sie hatte die Flasche da stehen lassen. Und ich, was machte ich? Ich trank das Glas nicht leer, aber ich sagte auch nicht nein. Ich war gefährlich nah dran, und das wusste ich. Ich hatte das Glas auf der Küchentheke stehen lassen, von wo es verführerisch lockte. Ich sagte mir, dass ich den Drink hinausschob. Nein. Ich gab meinem Trinkerhirn Zeit, die Sache abzusegnen. Wenn du nämlich etwas unbedingt willst, findest du einen Weg, es zu rechtfertigen.
Ich dachte an Mikis Benehmen in der Bar und an ihre bescheuerte Abwehrhaltung, an all ihre Ausflüchte, warum es in Ordnung wäre, ständig zugedröhnt zu sein. Solange du für irgendwelche Preise nominiert wirst. Ich spürte, wie die Wut in mir hochkochte. Ich ging zurück in die Küche, leerte das Glas in die Spüle, kippte dann den Inhalt der Flasche hinterher und sah zu, wie die Flüssigkeit im Ausguss verschwand. Ich drehte den Hahn auf und ließ Wasser nachlaufen, bis ich den Whiskey nicht mehr riechen konnte. Wann hört das Verlangen auf? Ich brauchte einen Plan für Momente wie diesen. Ich musste wieder zu den AA-Treffen gehen und mich mit meinem Betreuer vertragen. Ich hatte ihn jederzeit anrufen können – die Stimme der Vernunft. Er war seit zwölf Jahren trocken.
White Trash folgte mir zurück ins Wohnzimmer. Ich setzte mich an den Schreibtisch und blickte hinüber zum Fox Theatre auf der anderen Straßenseite, auch so ein seltsam schöner und kunstvoller Bau auf der Liste der hiesigen Kulturdenkmäler. Eine Limousine parkte mit blinkenden Warnleuchten vor dem Eingang und blockierte eine Fahrspur der Peachtree Street. Ich schaute auf die Ankündigung. Janet Jackson. Ich reckte den Hals. Na ja, konnte doch gut sein, dass in der Limousine da unten tatsächlich Janet Jackson saß, die geheimnisvolle Jackson, mindestens genauso faszinierend, wie ihr Bruder gewesen war. Ich wartete ab. Und tatsächlich: Die Tür öffnete sich, und da war sie, in einer verwaschenen, zerrissenen Jeans und einer weißen, hochgebundenen Bluse, damit die Bauchmuskeln gut zur Geltung kamen. Irgendwer auf der Straße musste ihren Namen gerufen haben, denn sie lächelte und winkte. Selbst in zehn Stockwerken Höhe kippte ich fast vom Stuhl beim Anblick ihrer Wangenknochen und weißen Zähne. Rauser wäre ausgeflippt. Er schwärmte für sie. Fast genauso, wie er Jodie Foster anhimmelte. Insgeheim glaubte er wahrscheinlich fest daran, er würde Jodie eines Tages kennenlernen und sie würde dann einsehen, dass sie sich die ganze Zeit was eingeredet hatte. Einmal hatte ich seinen Laptop aufgeklappt, um irgendetwas im Internet zu suchen, und schaute prompt auf ein Bild von Jodie Foster im Muskelshirt, die Hände im nassen Haar, intensive blaue Augen, Bizeps wie gemeißelt und so porzellanmäßig vollkommen, dass ich postwendend eine Million kindischer Unsicherheiten unterdrücken musste, um ihm nicht wüste Vorhaltungen zu
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