Broken (German Edition)
mit diesem schauerlichen Friedhof auf sich hatte. Die Kirkpatricks hatten in ihrer Scheune grausige Dinge getan, während die Menschen schliefen, die ihnen die Leichname von Geschwistern und Kindern, von Freunden und Vätern anvertraut hatten. Die ganze grässliche Szene ergab endlich einen Sinn – die dicke Plastikfolie, die sie als Spritzschutz aufgehängt hatten, die blutbefleckten Werkzeuge, die Gewebereste an der Kettensäge. Sie zerhackten, zerstückelten Leichen, verkauften die Organe. Folge dem Geld, sagte Rauser immer, und genau darum ging es hier. Der Anblick, der sich mir bot, war so kolossal, der Geruch so überwältigend, das Gewimmel von Fliegen und anderen Parasiten so dicht, dass ich es kaum begreifen konnte.
Ich hatte in meiner Zeit beim FBI mit Fällen von Gewebehandel zu tun gehabt. Es ist eine brutale Praxis in einem Bereich, wo die Sicherheitsmaßnahmen noch hinter dem Schwarzhandel herhinken. Illegale Zwischenhändler haben ethisch kein Problem damit, unzulässig entnommene Körperteile zu verkaufen. Totenscheine, Herkunfts- und Bezugsquellennachweise lassen sich fälschen, sodass Gewebebanken nicht wissen, wenn sie kranke Organe von Leichen im Verwesungszustand kaufen. Larry Quinn und Neil und ich hatten über das Hühnerfutter in der Urne gelacht, als er anrief, um mir den Auftrag anzubieten. Jetzt war mir nicht mehr nach Lachen zumute.
Ich hätte unverzüglich den Rückzug antreten sollen, aber die Privatdetektivin in mir wollte erst noch erledigen, womit sie beauftragt worden war. Ich bewegte mich vorsichtig durch den Wald, bemüht, möglichst alles so zu belassen, wie es war, während ich so viele schauderhafte Fotos machte, wie ich konnte. Ich fand weitere Ablagestellen. Und jede ließ das Ganze noch weniger real erscheinen. Als ich schließlich einige Fotos von dem Massaker an Quinn mailte, war meine Stimmung im Keller.
Eine Minute später vibrierte mein Handy. Es war Larry. Ich erzählte ihm von der blutigen Kettensäge, den dreihundert Kilo Fertigzement im Lagerschuppen, den leeren etikettierten Urnen in der Scheune, den Fotos, den Körperteilen, die zu Aberhunderten so nachlässig in den Wald geworfen worden waren, dass es unmöglich war, genauere Zahlen zu schätzen. «Wie fühlst du dich?», wollte er wissen, als ich fertig war. «Wir müssen dich da rausholen.»
«Rauser hat Kontakte zum GBI», antwortete ich. «Kannst du ihn informieren und ihm sagen, er soll da anrufen? Ich schick euch beiden die restlichen Fotos, bevor mein Handy den Geist aufgibt. Der Regen wird stärker.»
Ich ging näher an den Rand des Waldes. Hier waren weitere Reifenspuren, die von der Scheune zum See führten und von der Scheune zu anderen Waldabschnitten – noch mehr Ablageorte. Ich sah mich mittlerweile außerstande, das Ausmaß auch nur annähernd einzuschätzen.
Ich dachte an die Familien, die um diese Toten getrauert hatten, an die Wades, an die Menschen, die ihren Schmerz vielleicht gerade erst verwunden hatten. Sie würden sich der barbarischen Tatsache stellen müssen, dass die Kirkpatricks Leichen ausschlachteten und alles, was sie entnahmen – Organe und Haut und Augen –, verkauften und damit die Empfänger skrupellos einem gewaltigen Risiko aussetzten. Die Verantwortlichen mussten zur Rechenschaft gezogen werden. Zum ersten Mal drehte sich mir der Magen um, und sein Inhalt stieg mir in die Kehle.
Dicke Wolken hatten den Tag in ein dunkles Graublau verfärbt. Das Tröpfeln war in Dauerregen übergegangen. Meine Stimmung verschlechterte sich noch mehr, als es heftig blitzte und ein markerschütternder Donnerschlag den Boden unter meinen Füßen vibrieren ließ wie ein Nachbeben. Ich ging wieder tiefer in den Wald, wo die Bäume etwas Schutz vor der Witterung boten und vor Joe Ray mit seiner unheimlichen, Zehensocken tragenden Mama. Wieder ein Blitz, zu nahe. Die Bäume schwankten jetzt. Mich fröstelte.
Ich hätte Rausers Klingelton beim Rauschen des Regens beinahe überhört. «Ich hab die Fotos an Mike McMillan beim GBI weitergeleitet. Der Durchsuchungsbeschluss wird gerade ausgestellt. Das sieht da ja aus wie ein verdammter Albtraum, Street. Bist du in Sicherheit?»
«Ja. Die wissen nicht, dass ich hier bin. Rauser, hier ist alles voller Leichen, egal wo du hinguckst.» Ich schaffte es nicht, das Grauen in meiner Stimme zu kaschieren. «Ich stehe mitten auf dem Friedhof eines Wahnsinnigen.» Ich kam zu einer Reihe Aluminiumboxen, zweieinhalb Meter lang, einen Meter breit, eins
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