Broken Lands
vorhin, kurz vor dem Feuerwerk. Ich bin wohl jetzt Teil der wandernden Welt , hatte Tom gesagt. Das also hatte er damit gemeint.
«Aber … was bedeutet das?», fragte Sam Mapp stirnrunzelnd. «Sie wandern doch nirgendwo hin.»
«Das tat ich früher, lange Zeit, bevor ich hierherkam, und irgendwann werde ich mich wieder auf den Weg machen.»
«Es bedeutet also bloß, dass man merkwürdig ist und ständig unterwegs? Wie … ein Landstreicher oder so ähnlich?» Das war eine verwegene Frage. Die Leute mochten keine Landstreicher. Abgesehen von der Depression und den Streiks, dem Aufruhr und den Anarchisten wetterten die Zeitungen am häufigsten über die «Landstreicherplage».
Mapp schüttelte den Kopf. «Mit Landstreichern meinst du Obdachlose oder Menschen, die auf Arbeitssuche von einem Ort zum anderen wandern. Wir reden hier über etwas ganz anderes.» Er schaute zu Tom. «Wie soll ich das erklären?»
«Soweit es mich betrifft», sagte Tom nachdenklich, «ist es eher ein Gefühl – das Gefühl, auf der Straße mehr zu Hause zu sein als an den Orten, zu denen sie führt. Man steht am Rand der Dinge, betritt die Grenzen der Welt. So kommt es mir jedenfalls vor.»
«War das schon immer so?», fragte Jin. Wieder hatte Sam den Eindruck, dass sie viel besser als er begriff, worüber hier gesprochen wurde.
Tom schüttelte den Kopf. «Nein, Miss. Es gab …» Seine Stimme wurde leise. «Es gab eine Reihe von Ereignissen, die meine Sicht auf die Welt veränderten. Eins davon war der Krieg. Das andere …» Wieder schaute er zu Mapp. «Nun, das ist eine andere Geschichte und muss ein andermal erzählt werden.» Er wandte sich zu Jin. «Aber du weißt, was ich mit ‹Straße› meine, nicht wahr, Herzchen?»
Sie nickte. «Manchmal, irgendwo zwischen zwei Städten, mitten auf dem weiten Land und unter dem weiten Himmel …» Sie lächelte spitzbübisch. «‹ Für eine Weile liegt der Staub leicht auf meinem Mantel. In dieser Zeit ist das Herz des Reisenden eine Fahne, die hundert Meter hoch im Wind flattert .› Das ist derselbe Dichter, den ich vorhin schon erwähnte, und es ist, als ob er mir geradewegs ins Herz geschaut hätte, als er das schrieb.»
Tom lächelte sie an. «Genauso ist es. Du hast die Seele eines Wanderers.»
Jenseits des Tisches räusperte sich Ambrose. Mapp bedeutete ihm mit einer leichten Verbeugung fortzufahren. «Wenn Sie so weit sind, Meister.»
«Danke, Mr. Mapp. Weiter geht’s. Als die unheimlichen Wanderer an Jacks Tür klopften, war er schon nicht mehr ganz er selbst.
Der Erste kam im Frühling, mitten in einem Wirbelsturm. Jack öffnete die Tür in der Gewissheit, die Frau mit der Geige sei zurückgekehrt. Stattdessen stand da ein kleiner, zerzauster Mann in einem zerrissenen Mantel, der seine Türschwelle nass tropfte. Jack war am Boden zerstört, wie ihr euch denken könnt, aber er ließ den Fremden ein. Der kleine Mann war voller Dankbarkeit, und Jack erwies sich trotz seiner Enttäuschung als gnädig. Das änderte sich allerdings, als der Mann es sich vor dem Feuer gemütlich machte und Jack um eine der Decken bat. Jack weigerte sich.
In den Decken, müsst ihr wissen, hing noch – ob in Wirklichkeit oder bloß in Jacks Einbildung – der Duft der Frau mit der Geige, und Jack konnte den Gedanken, diesen kleinen Trost zu verlieren, nicht ertragen. Das sagte er natürlich nicht – wie hätte der Mann ihn auch verstehen sollen? Und so vermutete sein Gast, Jack sei einfach nur boshaft, und in der Minute, in der Jack einschlief, zog der Fremde eine der Decken zu sich und wickelte sich darin ein.
Jack schreckte auf, und … es tut mir leid, aber ich kann nicht wiederholen, was er alles zu dem Fremden sagte, ehe er ihm die Decke entriss und den armen Kerl wieder hinaus in den Regen schickte. Jedenfalls fand der Fremde, Jack habe reichlich übertrieben reagiert, und er war wütend. Er drehte sich zu der Tür um, die Jack hinter ihm zugeschlagen hatte, und ritzte ein kleines Zeichen in den Türrahmen, direkt neben dem Knauf. Es war eine Warnung für seine Kameraden, und es war der Anfang von Jacks Ruf als Unruhestifter.
Jack war indessen drauf und dran, seinen zweiten Fehler zu begehen, und dieser hatte etwas mit den drei Wünschen zu tun, von denen er noch keinen angewendet hatte.»
«Was die Wünsche angeht», unterbrach ihn Jin, «warum wünschte er sich nicht einfach, die Frau möge zurückkehren? Oder zu erfahren, wo sie war, oder so etwas in der Art.»
«Tja, das ist eine
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