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Brombeersommer: Roman (German Edition)

Brombeersommer: Roman (German Edition)

Titel: Brombeersommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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Blitzableiter geklaut hat.«

17
     
    »Ich hab’s!«, rief Theo, der seit längerem einen Schlachtplan schmiedete.
    »Was hast du?«, fragte Karl. »Das entscheidende Argument, das Viola überzeugen wird!« Theo hatte sich an den alten Sigmund Braun erinnert. Der war, als sie mit der Hitlerjugend die Nibelungensage spielten, beim Stadttheater gewesen und hatte ihnen bei der Inszenierung geholfen. Nach dem Krieg hatte das Theater schon bald wieder zu spielen begonnen, wenn auch nur in der Turnhalle des Knabengymnasiums, und Sigmund Braun war tatsächlich an die alte Stelle zurückgekehrt. Theo hatte ihn kurz entschlossen aufgesucht. Mit Erfolg. »Viola könnte für das Theater als Kostümschneiderin arbeiten, sagt der Sigmund Braun. Ich bin ganz sicher, dass sie dafür ihre Arbeit bei den Tommies aufgibt. Mensch, Karlemann, so was war immer ihr Traum!«
    Karl nickte.
    Das war Theo nicht genug. »Das ist doch großartig, du Trottel! Nun freu dich mal für mich.«
    Aber Karl war störrisch. »Ich verstehe gar nicht, warum du unbedingt jetzt und sofort heiraten musst. Hast doch noch ein Semester bis zum Examen.«
    »Nun lass es nicht an mir aus, dass du mit Edith nicht klarkommst«, antwortete Theo verärgert.

18
     
    Als Theo und Viola im Frühling 1947 beschlossen zu heiraten, lag ein langer, eiskalter Winter hinter ihnen. Der monatelange Frost hatte nicht nur die Flüsse und Stellwerke der Bahn einfrieren lassen, die für Transport und Verteilung von Kohle und Nahrung nötig waren, sondern verhinderte auch die Produktion von allem, was man für den Wiederaufbau brauchte.
    Alliierte wie Besiegte hungerten. Die Produktion von Eisen und Stahl wurde nicht nur wegen Kohle-, Strom- und Gasmangel gedrosselt, die Menschen waren auch zu schlecht ernährt, um volle Schichten zu fahren. Viele Betriebe arbeiteten nur halbe Tage. Die Nahrungsmittelrationierung fiel in der englischen Zone bis auf 659   Kalorien pro erwachsene Person. Jeder hatte Anrecht auf etwa drei Scheiben Brot pro Tag, ein fingernagelgroßes Stück Fett, einen Klecks Marmelade, eine Tasse Suppe und den siebten Teil eines Herings oder eine Scheibe Wurst. Fünfundneunzig Prozent des Wohnraums in der Innenstadt waren zerstört, viele bewohnbare Häuser waren für ehemalige Häftlinge, Zwangsarbeiter und vor allem für das britische Militär geräumt worden. Baumaterial gab es keins. Am 28.   März 1947 nahmen in der Stadt mehr als zwanzigtausend Menschen an einer Hungerdemonstration teil. Schlimmer konnte es nicht werden.
    Theo wollte, optimistisch wie er war, nicht länger mit dem Heiraten warten.
    Als sie aus dem Standesamt kamen, regnete es. Dabei hatte es erst nach einem kühlen, aber strahlenden Frühlingstag ausgesehen. Es war der 17.   April 1947.
    Viola hatte sich einen weiten, schwingenden Rock aus einer Tischdecke genäht. Der neueste Schrei sei das, und der »new look« passe, schwärmte sie, wunderbar zu der Musik, die sie jetzt so leidenschaftlich höre. Zu dem Rock, dessen farbige Streifen sie schräg verarbeitet hatte, was geradezu avantgardistisch, auf jeden Fall aber sehr elegant aussah, trug sie einen breiten roten Gürtel, ein Geschenk von Theo, und ein eng anliegendes schwarzes Oberteil, zu dem eine Bluse ihrer Mutter hatte herhalten müssen.
    Sehr gewagt fanden die Eltern Schulze einen solchen Auftritt und dem Ernst der Situation, den eine Eheschließung darstellte, nicht angemessen.
    Das Hochzeitsessen fand bei den Brauteltern statt. Matusseks hatten den Keller verlassen und waren vom Wohnungsamt in ein Zimmer eingewiesen worden. In den beiden anderen Zimmern der Wohnung lebten zwei weitere Familien, und die Regelung der Küchen- und Badbenutzung war ein Drama, das täglich neu aufgeführt wurde und immer neue Steigerungen erfuhr. Aber Willi hatte darauf bestanden, dass er und Helene die Hochzeit ausrichteten.
    Willi nahm seine Tochter in die Arme. Erst jetzt sah man, wie ähnlich Viola ihrem Vater sah. Sie hatten die gleichen braunen, dicht bewimperten Augen, die manchmal einen unergründlichen Blick auf ihr Gegenüber richteten.
    Helene Matussek weinte ein paar Tränen, als sie die Hühnerbrühe austeilte und die ohne Fett gerösteten Brotwürfel darüberstreute. Das Huhn war eine Hochzeitsgabe von Hermann Gronau, ebenso wie der Wein. Wo er den herhatte, blieb sein Geheimnis. Dass der Wein etwas korkte, störte niemanden.
    »Aber Mama«, sagte Viola leise und nahm ihre Mutter in den Arm, »was gibt es denn da zu weinen?«
    »Ach

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