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Brombeersommer: Roman (German Edition)

Brombeersommer: Roman (German Edition)

Titel: Brombeersommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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nichts, mein Mädchen. Ich bin doch froh. Das siehst du doch.«
    Willi Matussek hatte die Rede auf das Brautpaar an Ludwig Schulze abgetreten. Vorträge lagen ihm als ehemaligem Lehrer sicher mehr. Aber Theos Vater hielt sich kurz und blieb formell. Die Anschauungen der beiden Familien klafften zu weit auseinander, als dass sich eine Gesinnungsbrücke hätte schlagen lassen. Käthe Schulze und Helene Matussek wurden nicht warm miteinander, Helene war in allem das Gegenteil einer sehnigen, disziplinierten Turnerin. Und diese Schwiegertochter war nicht gerade das, was Schulzes sich für ihren Sohn vorgestellt hatten. So nahmen sie den kleinen Siegfried, dem die Langeweile deutlich ins Gesicht geschrieben war, an der Hand und verabschiedeten sich nach dem Kaffee, den sie zum Fest beigesteuert hatten.
    Edith, die Trauzeugin, war schlecht gelaunt, weil der Regen ihre Frisur zerstört hatte. Kaum wurden die Haare feucht, verwandelten sich die sorgsam gestreckten Locken zurück in »Negerkrause«, und so konnte Edith sich partout nicht leiden.
    Gerda half ihrer Mutter beim Abwasch. Viola und Theosaßen auf dem leicht abschüssigen, rot geblümten Plüschsofa der Matusseks, das im Krieg die rechte Lehne und das rechte Vorderbein verloren hatte. Hätte jemand ein Foto gemacht, so hätte man wohl den Eindruck haben können, der Fotograf sei angeheitert und nicht mehr in der Lage gewesen, die Kamera grade zu halten. Aber einen Fotoapparat hatte niemand der Anwesenden. Viola hatte ihre langen Beine übereinandergeschlagen, und Theo hatte voll Besitzerstolz den Arm um ihre Taille gelegt. Er zwinkerte Karl zu, als wollte er sagen: Das war die beste Idee, die ich seit langem hatte, das musst du zugeben.
    Karl hob das Glas in Richtung Sofa. Das Storchenbein, dachte er, schon leicht angetrunken, und es beschlich ihn eine unerklärliche, aber nicht unangenehme Melancholie. Nun ist mein Freund Theo mit der schönen Viola verheiratet.
     
    Wenige Tage später packte Viola in Dortmund ihre Siebensachen. Die britischen Soldaten auf ihrer Bürostelle schenkten ihr zum Abschied mehrere Schallplatten und wunderten sich, dass Viola in Tränen ausbrach, als sie sich, Billie Holiday und Louis Armstrong im Arm, verabschiedete. »Good luck«, riefen sie ihr nach, und noch am selben Tag zog Viola in Theos Kinderzimmer ein. Siegfried musste nun im Zimmer seiner Eltern schlafen, was er Viola sehr verübelte.
    »Ach Theo«, sagte Viola etwas entmutigt, »wir brauchen einen Plattenspieler.«
    »Ja, liebste Viola, gleich.« Theo schloss das Zimmer ab und zog sie aufs Bett. »Sobald ich dich geküsst undExamen gemacht und Arbeit und eine Wohnung für uns gefunden habe.«
    Und Viola machte »psst, nicht so laut«, denn das Bett ächzte bei jeder Bewegung.

19
     
    Edith war glücklich, dass Viola endlich in der Nähe wohnte. Alles war mit einer Freundin besser zu ertragen, das Schlangestehen, das Suchen nach einer Wohnung, selbst die Kälte und der Hunger. Auch Viola fand es schwierig, mit ihrer neuen Familie zurechtzukommen. Für den Umgang mit Küche, Bad und Wäsche hatte Käthe Schulze ein ganzes Regelwerk entwickelt, an dem Viola mehrmals täglich verzweifelte. So fand Edith für ihre Erlebnisse mit Tante Gertrud endlich ein offenes Ohr. Zusammen konnten sie darüber lachen.
    Manchmal machten sie sich am Wochenende zu viert mit Rucksäcken in die nähere Umgebung auf, um den Bauern ein paar Kartoffeln abzuhandeln. Aber das Herz der Bauern war schwer zu erweichen. Die Kartoffelkäfer hatten einen Teil der Ernte zerstört, und immer waren schon andere vor ihnen da gewesen, Bettler wie sie, die unnützen Hausrat als Gegengabe boten. Nicht mal Geld war als Tauschmittel noch willkommen. Nur die Zigaretten, die Viola von den früheren englischen Kollegen bekam, brachten noch ein paar Eier und Speck.
    Als der Fernverkehr langsam wieder in Gang kam, gingen die Stadtbewohner auf der Suche nach Essbarem auf weite Reisen. Mit dem »Vitamin-Express« nach Süddeutschland, wo im Badischen die Kirschen reiften, mitdem »Kartoffel-Express« nach Niedersachsen oder dem »Kalorien-Express« nach Bayern, wo es angeblich Unmengen von Fleisch gab. Edith, voller Heimweh nach dem Meer, überredete Viola zu einer Reise mit dem »Fisch-Express« an die Nordsee.
    Sie quetschten sich in den Zug, saßen im Gang auf ihrem kleinen Koffer, zusammengedrängt wie die Ölsardinen. Immer mehr nachrückende Reisende arbeiteten sich mit Ellbogen und Schienbein vor.
    »Zu Hause«,

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