Brombeersommer: Roman (German Edition)
zu Tante Gertrud, füllte in dem eisigen Keller den Waschbottich und zerrte die schwere, nasse Wäsche wieder heraus. Schlangestehen und Waschen. Putzen und aus einer Kartoffel was kochen. Mehr war da nicht.
»Ich muss mit dir reden«, sagte Edith zu Karl, als er nach Hause kam. »Ich muss doch irgendwas machen hier. Es genügt nicht, deiner Mutter zu helfen und erfolgreich den Streit mit Tante Gertrud zu vermeiden, während du arbeiten gehst. Dich kümmert weiter nichts. Zu Hause, da hatte ich ein Ziel, da war mir ganz klar, was aus mir werden sollte. Und was mache ich hier? Als Erstes brauchen wir eine eigene Wohnung.«
Karl nickte.
»Und warum kümmerst du dich dann nicht darum?«, fragte Edith gereizt.
Karl spürte, wie die Kopfschmerzen einsetzten. Es begann bei der linken Schläfe, mit einem einzelnen Stich. So wie seine Mutter beim Nähen die Nadel zu Beginn in den glatt gespreizten Stoff stechen ließ, ganz langsam, vorsichtig. Bis die Nadel Halt und Richtung fand und losratterte, während die Mutter das Fußpedal trat. Die Nadel in seiner linken Schläfe nahm Fahrt auf, seine Augenlider flatterten leicht.
»Jetzt kriegst du wieder Kopfweh«, sagte Edith. »Immer wenn ich was besprechen will, kriegst du Kopfweh.«
»Weißt du, ob noch Tabletten da sind?«, fragte Karl.
Edith zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht. Du bist der Einzige, der sie braucht.« Sie ging nachsehen, und als sie zurückkam, hatte er sich schon ausgezogen.
»Ich lege mich hin«, sagte er. Hinter dem Bettlakenvorhang war er geschützt vor dem unverhüllten Licht der Glühbirne, die von der Küchendecke hing. Er streckte die Beine aus, schloss die Augen.
»Jetzt schläfst du ein, und nichts ist besprochen.« Edith hatte rote Flecken am Hals. »Du gehst immer schlafen, und das war es dann.« Sie begann zu weinen. »Können wir nicht wenigstens einen Abend in der Woche irgendetwas unternehmen? Englisch lernen zum Beispiel. Viola spricht richtig gut Englisch.«
»Ich brauche kein Englisch«, sagte Karl gequält.
»Es geht nicht darum, ob man es ›braucht‹. Man kann auch was lernen, weil es einen interessiert. Bist du aufgar nichts neugierig?« Sie saß auf der Bettkante und hielt den Vorhang dabei zur Seite, damit sie ihn ansehen konnte.
»Doch«, sagte Karl müde, »doch, natürlich. Könntest du den Vorhang loslassen? Das Licht …«
»Du hast doch die Augen zu«, sagte Edith zornig. »Du siehst doch das Licht gar nicht.«
Karl drehte sich zur Wand, ohne zu antworten.
Edith hatte wieder verloren, sie wusste es. Sie stand auf, ließ den Vorhang fallen und setzte sich an den Küchentisch. »Ich bin noch nicht müde«, sagte sie in seine Richtung. »Ich gehe bei Theo vorbei. Vielleicht ist er zu Hause.«
Von Karl kam keine Antwort.
Edith zog den Mantel an. Die Tür fiel ins Schloss. Hätte er nicht sagen können, komm her, leg dich zu mir?
Die ländlichen Alleen, die seine Gedanken in eine unbestimmte Ferne zogen, nicht zu einem Hof, nicht zu einem Dorf, nur zu einem unbestimmten Horizont, der nichts und alles versprach. Wie oft Karl sie vor sich sah, die stillen, baumgesäumten Straßen ins Nichts. Die Hangare, aus denen die Flugzeuge langsam rollten, als führe man bedächtig das Vieh auf die Weide. Es waren aber Kampfbomber, und es war Krieg.
Am Anfang waren sie noch zusammen in Neuhausen, Karl und Theo. Dann kam Theo nach Berlin-Tempelhof. Funkerausbildung, Flugsicherheit. Karl blieb in Neuhausen. Das war gut, weil er inzwischen Edith kennengelernt hatte. Aber auch, weil die ostpreußische Landschaft ihnbesser träumen ließ als die in kurzatmigem Wechsel sich hebenden und senkenden Hügel zu Hause.
Er wurde der Luftaufklärung zugeteilt, Abteilung Bildauswertung. Karl war begeistert, er sah die Dinge gern von weit weg und hoch oben, war unerschütterlich genau, die Lupe benutzte er mit detektivischer Besessenheit. Die Kameraden fanden ihn manchmal spätnachts schlafend am Tisch, den Kopf auf den über Lupe und Foto ausgebreiteten Armen.
Er machte, wenn er die Zeit nicht mit Edith verbrachte, gern mit einzelnen Kameraden Ausflüge zu den masurischen Seen oder an die Ostsee. Vor allem Jan mochte er. Sie teilten eine Stube und freundeten sich an. Im Sommer stellte Karl einen Wiesenblumenstrauß auf den Tisch. Jan lächelte. »Du hast vielleicht Ideen«, sagte er. Als er an die Front abkommandiert wurde, schenkte er Karl ein Foto von sich. »Wer Freunde sucht, ist sie zu finden wert. Der Stunden, die ich mit
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