Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brombeersommer: Roman (German Edition)

Brombeersommer: Roman (German Edition)

Titel: Brombeersommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
Vom Netzwerk:
arisch.«
    Die Frau im Wollmantel drehte sich um und sagte: »Sie sehen nicht nur nicht arisch aus, ihre Artung ist auch ganz und gar nicht arisch.«
    »Und Ihre Meinung ist hier nicht gefragt«, erwiderte Viola.
    Die Frau drehte sich empört wieder weg.
    »Siehst du, jetzt bleibt ihr die Spucke weg«, flüsterte Viola Edith zu.
    Sie mussten lachen, hielten plötzlich erschrocken inne und sahen sich an.
    »Es wird nichts passieren«, flüsterte Edith. »Sie kann uns nicht anzeigen. Die Zeiten sind vorbei.«

20
     
    Das Stadttheater hatte schon im Sommer 1945, wenn auch unter sehr eingeschränkten Bedingungen, wieder zu spielen begonnen. Auch die Kostümschneiderei fing wieder klein an, der Fundus an Requisiten und Kostümen war weitgehend verbrannt. Viola ging mit Feuereifer an die Arbeit. Sie bedauerte nur, dabei nicht mehr Englisch sprechen zu können, und auch die neue, offene Welt des Jazz hatte sie erst einmal wieder verloren. Dafür lernte sie jetzt Shakespeare kennen.
    »›Hamlet‹ ist großartig, das musst du lesen!«, sagte Viola.
    »Das ist doch dieser   … Grübler?«, antwortete Theo und sah kaum auf von seinen juristischen Schwarten. Er wollte das Studium zum frühestmöglichen Termin abschließen und sich noch dieses Jahr als Assessor bewerben.
    »Schade, dass unser alter Oberbürgermeister nicht mehr da ist«, hatte sein Vater gemeint, als Theo ihm davon erzählte. »Da hätte ich ein gutes Wort für dich einlegen können. Alter Parteigenosse aus den Anfängen. Das hätte er mir nicht abgeschlagen.«
    »Vater. Das erleuchtete Hakenkreuz, das er am Rathausturm hat anbringen lassen, haben die Engländer schon bei ihrem ersten Angriff 1943 runtergeholt«, gab Theo ungeduldig zurück. »Deine Verbindungen nützen mir nicht. Im Gegenteil.«
    Der alte Schulze sah aus, als wolle er seinen Sohn gleich ohrfeigen. »Wie redest du denn! Schämst du dich nicht, alles zu verraten, worauf wir einen Eid geschworen und wofür wir mit unserem Blut gekämpft haben? Wenn ich dich sprechen höre, weiß ich, dass es wahr ist: Wir haben den Führer nicht verdient. Aus Enttäuschung über sein Volk hat er sein Leben beendet   …«
    »Und aus Enttäuschung ist sein Oberbürgermeister aus dieser Stadt getürmt, nicht ohne den Alten und Kindern vorher noch befohlen zu haben, die Heimat bis zur letzten Patrone zu verteidigen. Deshalb haben sie gedroht, alle zu erschießen, die ein weißes Laken aus dem Fenster gehängt hatten, auch als die Amerikaner schon mitten in der Stadt waren. Im Rathaus haben die Amis allerdings nur noch den Hausmeister angetroffen. Dem hatten deine Parteifreunde das Rathaus zu treuen Händen anbefohlen   …« Theo unterbrach sich, er wollte keinen Streit. Aber er war auch nicht mehr der folgsame Junge, der er mal gewesen war. Ein Weltkrieg lag dazwischen.
    Der alte Schulze war bleich geworden und griff sich ans Herz. »Wie redest du mit deinem Vater? Mit den Verrätern des 20.   Juli hat der Untergang angefangen, das habe ich immer gesagt   …« Sein Atem ging stoßweise und heftig.
    Theo entgegnete nicht, was ihm auf der Zunge lag, sondern sagte nur: »Wo ist denn Mutter? Bleib hier sitzen. Ich bringe dir ein Glas Wasser, ich bin gleich wieder da. Es tut mir leid, Vater. Aber die Welt hat sich verändert.«

21
     
    Im August dieses Jahres rief die Stadt auf Plakaten zum »Wiederaufbau-Ehrendienst« auf. »Melde dich noch heute. Jeder hilft. 6   Tage bei der Gewinnung von Baustoffen. Kein Verdienst-Ausfall. Schwerarbeiterkarte.« Aufmunternd blickte eine junge Frau von dem Plakat auf die Vorübergehenden nieder. Sie trug eine gepunktete Schleife im Lockenhaar, eine hübsche Bluse mit weißem Kragen, eine saubere Schürze über den langen Hosen und fünf Backsteine auf den Armen   – aus alt mach neu.
    Viola meldete sich, auch Edith kam mit. So konnten sie ein bisschen tratschen, wenn vormittags der Kaffee ausgegeben wurde. Steineklopfen fiel gemeinsam leichter. Edith seufzte. Ohne Baumaterial keine neuen Wohnungen. Ohne neue Wohnungen keine Chance, bei Tante Gertrud auszuziehen. Aber für ihre Hände war das Steineklopfen Gift. Der alte Mörtel saß mörderisch fest an den Trümmerziegeln, die sie Schlag für Schlag in neues Baumaterial verwandelten. Mit den aufgesprungenen, rissigen Händen konnte sie kaum Klavier spielen.
    »Wir machen die Trümmer weg, und die Ostarbeiter, die Polacken, wohnen in unseren Wohnungen«, schimpfte eine Frau neben Edith. »Zwangsarbeiter, man hat sie

Weitere Kostenlose Bücher