Brombeersommer: Roman (German Edition)
die feuchten Strähnen und zog den Mantel aus. »Den Wein hast du, ja?«
Karl nickte.
Sie zeigte stolz auf die mit Fleischsalat gefüllten Tomaten, die sie mitgebracht hatte. »Ich habe das alles heute Morgen schon mit ins Theater genommen. Heute war wieder …« Sie unterbrach sich und sah Karl an. »Ist nicht so wichtig, das alles. Freust du dich ein bisschen auf dein neues Lebensjahr?«
Er zuckte die Achseln, lächelte.
»Ich wünsch dir so, dass es ein gutes Jahr wird«, sagte sie leise. »Wenn ich zaubern könnte, würde ich dich jetzt einfach glücklich machen.«
»Du kannst zaubern«, sagte Karl. »Bei mir wirkt es jedenfalls.«
Da küsste sie ihn flüchtig auf den Mund, und er wusste nicht, mit wie viel Absicht es geschehen war.
Keine zwei Wochen später feierten sie Fasching. Viola plünderte dafür den Fundus des Stadttheaters. Karl kaufte schwarze, venezianische Augenmasken. Theo bestand darauf, dass es eine Feuerzangenbowle geben sollte. Er ließ es sich nicht nehmen, den Zuckerhut selbst zu besorgen, doch die niederen Vorbereitungsarbeiten, die schon am Morgen erledigt werden mussten, übertrug er Karl und Viola. Karl nahm den Samstagmorgen extra dafür frei.
Viola erschien früh mit einem großen Topf bei Karl, in dem sie eine Mischung aus einigen Flaschen Rotwein, Zimt, Gewürznelken, Orangen- und Zitronensaft ansetzten. »Nicht kochen«, hatte Theo ihr eingeschärft, »und nicht vergessen, auch die kleingeschnittenen Orangen- und Zitronenschalen hinzuzugeben.« Das Gebräu musste anschließend mehrere Stunden ziehen, ehe Theo das Werk am Abend vollenden konnte.
Karl hackte die Schalen in kleine Streifen und schnitt sich dabei in den Finger. Ein Blutstropfen quoll aus der Schnittwunde, und Karl starrte bewegungslos auf den Tropfen, der sich zitternd vergrößerte und schließlich auf den Boden tropfte.
»Karl, leck den Finger ab«, sagte Viola, »ich klebe ein Pflaster drauf. Hast du eins im Bad? Nun leck aber erst das Blut ab. Mach schon, das tropft ja immer weiter!«
»Ich kann kein Blut sehen«, antwortete Karl und wendete das Gesicht ab.
»Gib mal her, die Hand!«
Während er noch immer zur Seite sah, nahm Viola seine Hand. Merkwürdig, sie kannten sich so gut, und doch hatte sie noch nie seine Hand gehalten. Als er sich ihr wiederzudrehte, war sie schon dabei, die Leukoplastränder des Pflasters übereinanderzuziehen. Ihr Kopf war gesenkt, der gebeugte Nacken unter dem braunen Haar schmal. Aber sie war ja im Ganzen jungenhaft, mit den langen, schlanken Gliedern, den kleinen Brüsten, den weit ausholenden Gesten. Sie hätte eine dieser sportlich eleganten, selbstbewussten Amerikanerinnen sein können, die man jetzt in den Magazinen sah.
»Viola«, sagte Karl leise. Sie hob den Kopf und sah ihn an. Aber er hätte nicht sagen können, ob ihr Blick ihm irgendetwas erlaubte. »Es ist nichts«, sagte er deshalb nur. »Ich schau dich einfach gern an.«
»Ich geh dann mal«, sagte Viola. »Der Wein muss jetzt nur noch ziehen. Wir sehen uns heute Abend. Ich glaube, wir haben alles so gemacht, wie Theo das wollte.«
Gegen Abend kam sie mit Theo wieder, der den Plattenspieler, die Platten und den Zuckerhut mitbrachte. Kurz darauf trudelten die ersten Gäste ein.
Die Männer brachten Bier und Wein, die Frauen Käsewürfel und belegte Bütterchen mit Schinken und Mett. Violas Freundin, Sibylle Mathis, hatte einen Kuchen gebacken, der schon beim Transport zerkrümelt war, aber später trotzdem, mit den Fingern zusammengeklaubt, allen schmeckte. Sibylle hatte wiederum ihre Freundin, die amerikanische Mezzosopranistin Lynn Baltimore, mitgebracht. Ihr Gastgeschenk, mehrere Dosen Ananas, konnten leider nicht gegessen werden, weil Karl keinen Büchsenöffner hatte.
Es kam der Maskenbildner vom Theater, der anbot, die Gäste faschingsgerecht zu schminken, und Karls FreundSimon, ein Mitschüler von der Werkkunstschule. In den Tagen zuvor hatten Karl und Simon zwei Klopapierrollen abgerollt, jedes einzelne Blatt bemalt und für den heutigen Abend wieder aufgerollt. Dieses Kunstwerk war vergänglich, aber die Erinnerung daran hielt sich. Simon, der Kunstmaler war, verkaufte den Anwesenden gleich auch etwas Haltbareres: einen original und individuell in Öl bemalten Papierkorb. Er hatte ein Modell mitgebracht, das überzeugte – alle bestellten mindestens einen zum Pauschalpreis von fünfzig Mark. »Das ist eine kluge Entscheidung von euch. Die sind dann später, wenn ich berühmt bin, ganz
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