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Brombeersommer: Roman (German Edition)

Brombeersommer: Roman (German Edition)

Titel: Brombeersommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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feierten.
    »Komm zu uns«, schlug Viola vor. »Ich kann auch noch ein paar Leute dazu einladen.« Aber Karl schüttelte den Kopf. »Nein, kommt doch lieber zu mir. Ich habe die Wohnung umgeräumt, ist ja jetzt eine Junggesellenbude. Dann können wir die Verwandlung der Mansarde begießen und dem alten Jahr einen Tritt geben.«
    Er sah etwas verloren aus, als er das sagte, aber Viola wollte ihn nicht überreden. »Gut«, sagte sie, »dann bringen wir die Gulaschsuppe mit.«
    Es war ein guter Jahresbeginn. Sie waren beschwingt und ausgelassen an diesem Abend, tranken ein bisschen zu viel und machten gemeinsame Pläne. Karl fühlte sich wohl wie schon lange nicht mehr. Auf dem Fundament seiner Freundschaft mit Theo hatte sich eine Freundschaft zu viert entwickelt, die sich jetzt wiederum gewandelt hatte und auch auf drei Beinen stehen konnte. Eine Selbstverständlichkeit war das nicht. Vor allem dank dieser Freundschaft schien es Karl, als kehre allmählich eine gewisse Normalität in die Welt zurück, als flösse die Zeit, die durch das ungeheuerliche Geschehen des Weltkriegs ins Stocken geraten war, wieder gleichmäßiger.
    Die Nachkriegszeit war irgendwie vorbei. Die in Bruchstücke gefallenen Lebensläufe der einzelnen Menschen waren wieder ansatzweise zusammengeleimt. Die fünfziger Jahre begannen ein eigenes, unverkennbares Gesicht herauszubilden. Aus dem Chaos waren deutliche Spuren einer neuen Ordnung entstanden. Die Gegenwart erschuf sich ihre Gesetze, die auf Zukunft drängten.
    Dass unter der Oberfläche dieser neuen Normalität die verstörenden Fragen und Abgründe bestehen blieben, spürte Karl auch an diesem glücklichen Silvesterabend. Umso dankbarer war er für die beiden Freunde. Er fragte sich, ob es ihm je gelingen würde, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, und das betraf weniger Edith, so schwer er auch an der gescheiterten Ehe trug, als das, was er im Krieg erfahren hatte. Manche Menschen, dachte er, können vergessen und weitergehen. Anderen ist das Herz zu schwer von der Vergangenheit. Sie bleiben auf der Schwelle stehen.

31
     
    Viola dachte an Waldmeister. Sie sah ihn ganz genau vor sich, obwohl es Januar war. Die aufschießenden zarten Stängel, die quirlförmig angeordneten Blättchen, die einen Stern bildeten, oben die winzigen weißen Blüten, die in den Wald hineinleuchteten. Im Mai, dachte sie, gibt es Maibowle, ich habe Lust auf Maibowle, auf Waldmeisterbrause, auf Waldmeisterwackelpudding, glibberig und giftig grün, mit Sahne, nein, ohne Sahne, nur grün. Es ist, dachte Viola, als wäre ich schwanger und hätte Schwangerschaftsgelüste, eine gefräßige Gier nach Waldmeister und allem Grünen. Aber wenn sie mit Theo darüber spräche, würde der nur sagen, du kannst doch Waldmeisterbowle machen, ohne schwanger zu sein. Grün ist doch auch ohne Kinder schön.
    Heute kriegt er Grünkohl, dachte Viola. Heute gehe ich früh hier weg und habe Zeit zum Grünkohlkochen. Theo liebte Grünkohl mit Mett.
    Im Theater bereiteten sie den »Freischütz« vor, und wahrscheinlich war Viola deshalb auf Wald und Grün gekommen. Die Besetzung stand fest, die ersten Anproben waren schon über die Bühne, und Viola änderte die Kostüme und nähte gleichzeitig noch neue.
    Ihre Freundin Sibylle Mathis sang die Agathe und hatte sich den halben Nachmittag bei ihr darüber beschwert,dass der Tenor ihr beim Singen zu nah auf die Pelle rücke. Sibylle sah dann, dass er ein Toupet trug und musste immer auf den Rand starren, wo das Haarteil begann. Der Dirigent, Dieter Hering, hatte sie sowieso auf dem Kieker, weil sie mit den Einsätzen manchmal eine Spur zu spät kam. Wahrscheinlich sorgte er dafür, dass Sibylle mit Konrad Walter singen musste, obwohl jeder wusste, dass sie sich nicht mochten und es noch einen anderen Tenor am Theater gab. Und immer musste sie ihn lieben, denn immer liebte der Sopran den Tenor, weil es das Libretto so vorsah.
    Viola hatte bestätigend, aber ohne große Anteilnahme genickt, weil sie in ihren Gedanken eigentlich nicht gestört werden wollte. Während Sibylle weitere unangenehme Seiten ausmalte   – »weißt du, er atmet so geräuschvoll ein, das hört man unten nicht, aber mich macht das ganz wahnsinnig«   –, räumte Viola das Atelier auf.
    »Wenigstens gefällt dir dein Kostüm«, warf sie ein.
    »Richtig. Darüber wollte ich noch mit dir sprechen«, besann sich Sibylle.
    »Aber nicht mehr heute«, sagte Viola entschieden. »Ich muss heim. Einkaufen. Grünkohl

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