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Brombeersommer: Roman (German Edition)

Brombeersommer: Roman (German Edition)

Titel: Brombeersommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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viel wert«, kommentierte der Maler zufrieden.
    Dann zelebrierte Theo, der einen Frack und ein schwarzes Cape trug und sich darin hervorragend machte, die Herstellung der Bowle wie einen alchemistischen Akt. Der Zuckerhut thronte über dem Rotweintopf auf der Eisenzange, mit der Karl sonst die Briketts in den Ofen beförderte. Theo beträufelte den Zuckerhut mit Rum und entzündete ihn. Alle schrien »Ah« und »Oh«. Blau züngelten die Flammen, und nach und nach, mit dem langsam in den Rotwein bröckelnden und schmelzenden Zucker, wurde eine ganze Flasche Rum nachgegossen. Die Bowle war ein voller Erfolg.
    Dann wurde getanzt. Der Maskenbildner wechselte die Platten und betätigte sich als Entertainer. Die schwarzen Augenmasken machten die Gesichter merkwürdig fremd und entrückt. Wem gehörten diese Lippen, die alle jung, kaum auseinanderzuhalten waren. Gurrendes Altlachen, dazwischen die helle Stimme von Sibylle, die beim Lachen Koloraturen zu singen schien.
    Spät in der Nacht beschloss der Maskenbildner, weil die Damen sich beim Tanzen zunehmend in ihren prächtigen langen Rokoko-Kleidern verhedderten   – Viola hatte sich aus dem Fundus der »Zauberflöte« bedient   –, etwas langsamere Stücke zu spielen, um die Kostüme zu schonen. Das war allen recht, die Bowle war mächtig zu Kopf gestiegen.
    Zwischen Karls Gesicht und dem seiner maskierten Zauberflötendame ringelte sich frech eine rote Luftschlange von der Deckendekoration. Sie pusteten beide gleichzeitig. Ihr Atem berührte sich, das war schön. Der Rum machte ihre Körper weich und nachgiebig. Wann hatte Karl zum letzten Mal eine Frau so im Arm gehalten, ohne Worte, ohne Gedanken. »If my heart could only talk«, sang Billie Holiday, und sie klang dabei, als müsse ihr das Herz brechen. Karl hielt seine Schöne schweigend im Arm, sie schmiegte sich an ihn. »Heaven would be mine«, sang Billie Holiday. Sie sagten beide kein Wort und waren für einen Augenblick glücklich.
    Plötzlich gab es im Nebenzimmer einen dumpfen Knall. Karl schreckte auf, blickte auf ein Paar hellblaue Stoffschuhe, auf denen ein Blutstropfen eingetrocknet war, löste sich zögernd, widerwillig aus der Umarmung und lief ins Schlafzimmer hinüber. Da standen zwei auf dem Bett, die Gläser noch in der Hand. Das Bett war eingekracht. Mein Gott, Simon, der schwere Bursche, hatte das Bett klein gekriegt. Die beiden Sünder stiegen herunter, schuldbewusst und doch mit schallendem Gelächter.
    Lynn war im Bad eingeschlafen. Karl und Simon betteten sie in die Badewanne und legten ihr ein Kissen unter den Kopf. Theo, der im Schlafzimmer auf dem unversehrtenBett eingeschlafen war, die Lackschuhe noch an den Füßen und inmitten seines Fracks, dessen Rockschöße ihn umgaben wie ausgebreitete Flügel einen Käfer, blinzelte und rückte bereitwillig zur Seite, als Karl und Viola neben ihm niedersanken. Karl, der vorn lag, fiel aus dem Bett und schlief auf dem Bettvorleger weiter.
    Ein Traum war es, ein Traum, und die Maskerade war vorbei.
    In der Nacht, ohne dass sie es bemerkt hätten, fiel Schnee, lautlos und sanft. Auf den schmalen Fenstersimsen der Mansarde häuften sich weiße Kissen auf.
    Karl erwachte auf dem Boden des Schlafzimmers und rieb seine steifen Knochen.
    In der Badewanne lag immer noch Lynn. Sie hob benommen den Kopf, als er leise die Badezimmertür öffnete. »Coffee«, murmelte sie, »do you have any coffee?« Stöhnend ließ sie den Kopf wieder aufs Kissen sinken. Karl setzte Teewasser auf und betrachtete sein Gesicht im Spiegel über dem Schüttstein. Erstaunlich, dass er kein Kopfweh hatte.
    Langsam kamen die anderen zu sich. Unbarmherzig vertrieben sie Lynn aus der Wanne, denn sie brauchten alle das Bad. Dann entdeckten sie, dass der Schnee die Welt zugedeckt hatte, die Dächer, die Gehwege, die Grünflächen, die Straße, die immer noch vorhandenen Trümmergrundstücke. »Was für ein stiller Sonntagmorgen«, sagte Theo gähnend.
    »Es ist schon Mittag, du Schlafmütze«, sagte Simon. »Was machen wir? Karl hat ja nicht mal ein Katerfrühstück da. Lasst uns einen Schneespaziergang machen und im Gasthaus frühstücken.«
    »Mittagessen, du Trottel«, sagte Theo, »Mittagessen.«
    Sie stapften durch den lockeren Schnee. Karl hatte die neue Kamera dabei.
    Man sieht Simon, den Bezwinger des Bettes, breitbeinig, er hebt Sibylle hoch wie ein Vögelchen. Sie hat den Mund geöffnet, als schmettere sie ein Lied. Theo posiert mit Viola und dem Maskenbildner, der gerade

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