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Brombeersommer: Roman (German Edition)

Brombeersommer: Roman (German Edition)

Titel: Brombeersommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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Blicke hättest du sehen sollen. Weil ich direkt neben ihr saß, hatte ich natürlich Riesenvorteile, sie für den Abend zu belegen. Da habe ich auch nicht gleich als Erstes gesagt, dass ich verheiratet bin.«
    Die Aussage verstimmte Karl. »Brauchst du ja auch nicht, trägst ja einen Ehering!«
    »Ach komm, bei so einer Veranstaltung trägt doch niemand einen Ring.«
    Da hatte der Dicke Viola bekommen, dachte Karl, und hatte sie gar nicht verdient! Hoffentlich machte ihm Theo gleich nicht noch weitere Geständnisse.
    Aber Theo sagte nur: »Nun guck mich nicht so vernichtend an. Ich habe nur mit ihr geflirtet. Ein bisschen Backe an Backe tanzen, abends in der Bar, da ist doch nichts bei. Ich habe sie bis an ihre Zimmertür gebracht, damit sie kein anderer belästigt. Ich will dir doch nur Mut machen. Seit Edith gegangen ist, lebst du wie ein Mönch. Da fällt die Inge doch irgendwie vom Himmel.«

39
     
    Jan war nicht verrückt. Er sagte nur fast nichts. Das hatte Annegret, seine Frau, nicht mehr ausgehalten.
    »Immer hat er nur so dagesessen, teilnahmslos. Nachts ist er durch die kleine Wohnung gegeistert. Ich habe kein Auge zugetan. Die Nachbarn von unten beschwerten sich alle paar Tage, dass nachts einer über ihnen wie ein Tier im Käfig hin und her läuft.«
    Inge, Karl und Annegret hatten gleich nach Karls Ankunft zusammen zu Abend gegessen. Es gab Brot und Aufschnitt, auch etwas Käse. Und jetzt saßen sie in Inges Wohnzimmer. Inge hatte Untersetzer aus Brokat, und auf dem Brokat standen die Weingläser. Karl hatte, auf seinen Wunsch hin, ein Bier bekommen, und dazu gab es Salzstängel, die leise krachten, wenn man darauf biss.
    Am Anfang habe sie gedacht, erzählte Annegret, das würde sich schon geben. Es war ja kein Wunder, dass Jan sich nicht zurechtfand nach den langen Jahren in Sibirien. »Das Deutschland, in das er zurückkam, war ihm ganz fremd«, sagte sie. »Und ich ihm doch auch.« Warum die Russen ihn gerade Anfang dieses Jahres freigelassen hatten, wusste niemand, auch er selbst nicht. Andere behielten sie. Und natürlich war Jan auch ihr fremd geworden. Zehn Jahre hatten sie sich nicht mehr gesehen. »Und dann kam er zurück und war nur noch ein Schatten.«
    Karl sagte nichts, was hätte er auch sagen sollen. Er kannte Annegret doch kaum, nur von der Hochzeit.
    »Ich habe mich nach dem Krieg irgendwann in einen Bürokollegen verliebt. Aber was sollte ich tun? Mein Mann war in Kriegsgefangenschaft. Man konnte ihn ja nicht wie einen Vermissten nach einigen Jahren für tot erklären lassen! Ich wartete auf ihn.«
    »Beruhig dich doch, Annegret«, flüsterte Inge. »Jetzt ist Karl doch grade mal angekommen.« Sie wandte sich ihm zu. »Der neue Freund hat sich dann irgendwann zurückgezogen und schließlich eine andere Kollegin geheiratet. Irgendwann hört man auf zu warten«, sagte Inge anstelle von Annegret, die sich vielleicht geschämt hätte, das zuzugeben.
    Annegret nickte nur.
    Inge goss Wein nach und tätschelte Annegret den Arm. »Karl, trink doch dein Glas aus, damit ich dir nachschenken kann«, sagte sie.
    Aber Karl hörte sie nicht, er stellte sich vor, wie die zwei einander plötzlich gegenüberstanden, Jan und Annegret, zwei miteinander verheiratete Fremde, die sich zehn Jahre nicht mehr gesehen hatten. Und in den zehn Jahren war alles untergegangen, was sie kannten. Wahrscheinlich haben sie sich nicht angefasst, dachte er, so wie er und Edith, obwohl sie doch ausgehungert waren nach Liebe und einem Körper, mit dem sie zärtlich sein konnten.
    »Als er nicht die geringsten Anstalten machte, sich für eine Ausbildung zu interessieren oder eine Arbeit anzunehmen, hat Annegrets Vater mit ihm gesprochen«, fuhr Inge fort. »Jan wollte ja nicht mal das Haus verlassen! Erhätte doch für Annegret die Einkäufe machen können, wenigstens kleine Erledigungen übernehmen. Am nächsten Morgen, nach dem Gespräch mit seinem Schwiegervater, ist er gar nicht mehr aus dem Bett aufgestanden.«
    Karl nickte nur.
    »So konnte es einfach nicht weitergehen«, sagte Annegret vorsichtig.
    Karl hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, allein zu sein. Er sehnte sich nach seiner Mansarde, nach dem zärtlich flüchtigen Duft der Blumen, die er immer im Wohnzimmer stehen hatte, nach seinem Bett, nach dem Radio, nach dem Klingeln des Kandiszuckers im rostbraunen Tee. Er sehnte sich danach, die Augen zu schließen und sie gar nicht mehr aufzumachen.
    Als die Frauen ihn nach seiner Ehe fragten, wich er aus,

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