Brombeersommer: Roman (German Edition)
in hellem Beige, der bei den Knien etwas enger zusammenlief. Oben hatte der Mantel einen Rundkragen. Man sah an den Beinen, die unter dem Mantel hervorschauten, dass Inge noch immer schlank war. Sie war wohl extra bei der Friseuse gewesen. Ihre Haare, die früher in natürlichen Locken auf die Schulter gefallen waren, waren jetzt mit einer Dauerwelle in Form gebracht. Die Wellen hatten etwas untadelig Starres. Sicher durfte da niemand hineingreifen. Dabei war ihr Gesicht erwartungsvoll, es war ein nettes Gesicht, das dem auf dem Foto immer noch sehr ähnlich sah. In Inges Armbeuge hing eine Handtasche mit einem festen Bügel. Die Tasche war weiß und steif mit einem Schnappverschluss, auch die Schuhe mit dem kleinen Absatz waren weiß.
Karl wusste, dass er ungerecht war, aber die Tasche gab den Ausschlag. Ehe er überhaupt ausgestiegen war, bevorer sie noch begrüßt und sie auch nur ein einziges Wort an ihn gerichtet hatte, war es ihm klar, dass er sich niemals in sie verlieben würde.
Karl öffnete die Zeitung vom gestrigen Samstag, die er vor wenigen Minuten auf dem Bahnhof für die Rückreise besorgt hatte, legte sie aber gleich wieder zur Seite. Er dachte an Jan. Und daran, dass er versucht gewesen war, Jan mehr von dem zu erzählen, was ihn selbst, Karl, so quälte. Jan hätte nichts darauf erwidert, und das wäre gut gewesen. Aber dann hatte er gefunden, man dürfe Jan nicht noch mehr aufbürden. Ob Jan davon wusste oder nicht, es änderte nichts. Niemand konnte ihm helfen. Karl würde für immer die ältere russische Frau vor sich sehen, wie sie langsam Fuß vor Fuß in den Fluss setzte, auf Befehl des Oberleutnants, der das die »Minenprobe« nannte. »Wenn sie hochgeht, wissen wir, dass die Stelle hier vermint ist«, hatte er gesagt, »dann suchen wir einen andern Übergang.«
40
Viola fragte nicht nach Inge, und Karl verlor nur wenige Worte über seine Reise nach Hannover. Er erwähnte, dass es nett von Inge gewesen sei, ihn aufzunehmen, und erzählte kurz von der Begegnung mit Jan. Ein Gegenbesuch Inges war offenbar, den Eindruck hatte Viola, nicht unmittelbar geplant.
Theo und Karl spielten nach dem Abendessen wieder Schach. »Im Asbach Uralt liegt der Geist des Weinens«, sagte Theo, wenn er verlor, und goss sich und Karl einen Weinbrand in die Cognacschwenker. Viola kniete auf dem Teppich und studierte Schnittmuster, oder sie las, die Beine auf dem Sofa, ein Buch, das Karl ihr empfohlen hatte. Wenn die »Insulaner« im Radio kamen, hörten sie alle drei zu. Sie waren auch schon ein paar Mal zum »Kom(m)ödchen« nach Düsseldorf gefahren.
Theos neueste Idee war es allerdings, auf einen Fernsehapparat zu sparen. Da sollten die »Insulaner«, so hieß es, demnächst nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen sein, wie übrigens auch Werner Höfers »Frühschoppen«.
Karl fand die Anschaffung unnötig. Er liebte sein Radio. »Ich will gar nicht alles sehen!«, rief er. »Im Dunkeln liegen und den Stimmen zuhören, die durch den Äther schwirren und bis zu mir dringen, das ist wunderbar. Das Zirpen undSausen, wenn man einen Sender sucht und den riesigen weiten Raum abtastet …«
»Ja. Genau«, bekräftigte Viola, die gerade ihre Fußnägel lackiert hatte und mit den nackten Füßen sanft in der Luft herumwedelte.
»Ach, was«, sagte Theo, »ihr werdet sehen. Wenn der Fernsehapparat erst mal hier steht, werdet ihr begeistert sein.«
Er ging mit der Zeit. Und so schafften sie sich nicht nur das Gerät, sondern auch Schalensessel und Tütenlampen an. Während Karl ein Lampenschirm genügte, waren Theo drei verschiedenfarbige Schirme aus Ölpapier an schlangengleich sich biegenden Metallarmen gerade genug.
»Mensch, Theo«, sagte Karl eines Tages überrascht, als er den neuen Wohnzimmertisch sah, »wie asymmetrisch und bunt soll die Wohnung denn noch werden?«
»Zackige Formen haben wir genug gehabt«, entgegnete Theo gekränkt, »und reichlich von der Farbe Braun.«
Es wurde Mai, und Violas Geburtstag rückte näher. Der in Würzburg geborene Plan, dieses Jahr im Frühsommer eine Reise in den Süden zu machen, versetzte sie zunehmend in Hochstimmung. Ehe sie am Morgen noch richtig aufgewacht war, sah sie schon das blaue Meer vor sich. Sie stellte gut gelaunt das Radio an, sprang aus dem Bett und summte beim Aufstehen »Bella, bella, bella Marie«.
Als im Radio laut »bei Capri die rote Sonne im Meer« versank, reichte es Theo. »Viola, mach das Radio leiser!«,stöhnte er. »Die
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