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Brombeersommer: Roman (German Edition)

Brombeersommer: Roman (German Edition)

Titel: Brombeersommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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offensichtlich lange nicht mehr benutzten Sitzplatz. Eine Pergola, wild von Weinlaub überwachsen, gab Schatten, das silbrige Grau der Granitstelen schimmerte im Licht. Karl strich mit der Hand über den warmen Stein. Alles war hier aus Stein gefügt, das Haus, das Dach mit den übereinandergeschichteten Steinplatten, die Treppe, die Stützen der Pergola und der Tisch unter dem Schattendach. Karl hätte sich nicht gewundert, Kaiser Barbarossa hier sitzen zu sehen mit eingewachsenem Bart.
    Karl fegte mit der Hand die Blätter beiseite, die sich auf der Granitplatte angehäuft hatten. Käfer krabbelten davon, Spinnen suchten eilig das Weite. Dann wieder bewegungslose Stille. Warum war er plötzlich so glücklich? Weil die Erde trotz allem noch immer existiert, dachte er mit einem Mal. Die Welt war immer noch da. Die Menschen konnten so barbarisch tun, wie sie wollten, die Gräser, die Bäume, die Quellen überdauerten jedes menschliche Treiben.
    Viola stand gähnend auf der Treppe und dehnte und streckte sich wie eine Katze. Sie schaute sich suchend um. »Karl!«, rief sie. »Karl?« Theo erschien hinter ihr im Türrahmen, umfing sie von hinten und zog sie wieder ins Zimmer. »Schön dableiben«, flüsterte er. »Ich will noch was von dir.«
    »Hier bin ich«, rief Karl, »hier, auf der Seite des Hauses. Wir haben eine Terrasse«, wollte er sagen, »schaut euch das an!« Aber von Viola und Theo war weit und breit nichts mehr zu sehen.
     
    »Da drüben, das ist der Gambarogno«, erklärte Theo, der die Karte studierte und sich die Namen der Höhenzüge einprägte. »Ein ganz schöner Koloss. Eigentlich müssten wir auch mal rüber auf die andere Seite. Da haben sie um diese Zeit noch Sonne.«
    »Aber nicht jetzt«, sagte Viola.
    »Und auch nicht morgen«, sagte Karl.
    Langsam wurde es Nacht. Die Sonne ging unter, der aprikosenfarbene Himmel verwandelte sich in ein glühendes Violett. Lichter flammten in den Ortschaften auf und spiegelten sich leise flimmernd im dunklen See. Mehr und mehr Sterne blinkten am nachtblauen Himmel, als sei auch er bewohnt.
    Sie zündeten Kerzen an, tranken Wein, aßen Salami. Solange man noch irgendetwas sehen konnte, spielten sie am Steintisch draußen Canasta. Dann sahen sie nur noch der Nacht zu.
    Karl wachte vom Mond auf, der über dem Rücken des Gambarogno stand und ins Fenster schien. Er setzte sich auf die Treppe und lauschte auf das Knistern und Rascheln im Tessiner Dschungel. Erschrak, als jemand plötzlich seine Schulter berührte.
    Theo setzte sich zu ihm auf die Stufen.
    »Viola schläft wie ein Stein«, sagte er leise.
    Karl schwieg. Wollte Theo mit ihm über Viola reden? Über die flüchtigen Berührungen, die nicht mehr waren wie früher, die sich verändert hatten und nun etwas suchten und verhießen, andeuteten und verschwiegen.
    Aber Theo sagte nichts. Die blasse Lichtschleppe des Mondes streifte die Brissago-Inseln.
    »Weißt du, was ich vorhin gedacht habe?«, sagte Karl in die Nacht hinaus.
    Theo regte sich nicht.
    »Ich dachte, dass ich es für unmöglich gehalten habe, je wieder so glücklich zu sein wie heute. Das war, als ich die Pergola entdeckte. Da dachte ich plötzlich, alles, was die Welt schön macht, ist ja noch da. Alles war so friedlich in diesem Moment, so still. Das Leben atmete ohne Hast, ohne Gier, ohne Wut, ohne Neid, ohne Angst und Hass.« Karl hielt Theo die Zigarettenpackung hin und gab ihm Feuer. Im kurz aufzischenden Widerschein des Zündholzes sah er in das vertraute Gesicht.
    »Du bist ein Träumer«, sagte Theo. »Aber mir gefällt es hier auch.« Er griff nach Karls Hand und hielt sie einige Sekunden lang fest. »Trotzdem, schon heute Nacht holen die Füchse sich wieder die Hühner aus den Ställen, jagt der Kauz die Mäuse, und morgen früh schnappen die Vögel sich wieder die Insekten, die hier herumbrummen.« Theo spitzte den Mund und blies Rauchringe in die Luft. »Aber die Welt braucht auch Träumer wie dich. Die Frauen lieben Träumer, das kennen wir ja. Nur im praktischen Leben und auf die Dauer greifen sie lieber auf die nüchternen Macher zurück.« Er zog an der Zigarette, die Asche glomm rot auf, aber sein Gesicht blieb im Dunkeln.
    »Vielleicht bin ich ein Träumer«, sagte Karl. »Ich weiß, ich werde es nie zu mehr bringen. Aber damit ist mir wohl. Ich will nichts anderes, auch wenn ich es könnte. Es ist die einzige Abbitte, die ich leisten kann, die einzige Möglichkeit, mit mir ins Reine zu kommen. Wahrscheinlich passt es auch

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