Brombeersommer: Roman (German Edition)
einfach zu mir.«
Theo schüttelte den Kopf, als hätte er noch nie so etwas Blödes gehört. »So ein Unsinn! Wofür willst du denn Abbitte leisten? Du bist doch kein Schlächter gewesen im Krieg. Du warst weder ein Offizier mit Befehlsgewalt, noch hast du irgendeine Position in der Partei gehabt. Du hast Bilder ausgewertet und das Glück gehabt, dass sie dich dafür dringender brauchten als fürs Schießen.« Er legte Karl die Hand auf die Schulter. »Das sind sinnlose Schuldgefühle.«
»Nein«, sagte Karl. »Du brauchst mich nicht zu trösten. Ich war jahrelang überzeugt, dass das alles richtig war, was wir machten. Ich wollte in den Krieg. Ich habe mich freiwillig gemeldet. Ich war stolz, dass ich ein guter Bildauswerter war. Das hat vielen Menschen das Leben gekostet. Ich habe gesehen, was unsere Leute mit denen gemacht haben, die sie aufgrund meiner guten, ehrgeizigen Arbeit aufgespürt haben. Und mit andern. Und mit eigenen Kameraden.« Er zögerte kurz und fuhr dann fort: »Für dich ist es vielleicht anders. Du hast an einer andern Front gekämpft. Rommel hat Krieg geführt nach militärischen Grundsätzen und Regeln. Ich war an der Ostfront. Da gab es keine Regeln, auch keine militärischen, nur eine grausame, erbärmliche, menschenverachtende Abschlachterei. Wir waren in verschiedenen Kriegen, du und ich. Und wir haben auch einen unterschiedlichen Frieden.«
»Ist Krieg nicht überall Krieg?«, erwiderte Theo. »Und ist der Tod nicht überall der Tod?«
Karl nahm Theo die Zigarette aus der Hand, zog daran und gab sie Theo zurück. »Wenn du mich fragst, ich freue mich immer, wenn die Deutschen im Fußball verlieren.«Er lachte. »Aber du weißt ja, ich habe mir nie was aus Fußball gemacht.«
»Aber aus Frauen schon«, sagte Theo und schlug Karl auf die Schulter.
»Ich bin kein Frauenheld.«
»Nein. Du bist kein Eroberer. Aber lieben lässt du dich schon.«
49
Die Zeit blieb süß und bleiern stehen. Die Wärme drang in alle Glieder, die Hitze machte die Gedanken still. Die meisten Worte mussten nicht gesagt werden.
Am Anfang moserte Theo noch wegen der Zeitung, die ihm fehlte. Aber so, wie er vergaß, dass sie kein Radio hatten, vergaß er schließlich auch die Zeitung und sogar, dass er sich beschweren wollte. Dafür entdeckte er sein ganz privates morgendliches Bad. Das steinerne Becken, das der zu Tal stürzende Bach im Laufe von Jahrhunderten ausgehöhlt hatte, war groß genug, um darin unterzutauchen. Das Wasser war kalt, und man hörte Theo, wenn er hineinstieg, bis zum Haus hinauf zetern.
Wenn Theo von der Morgentoilette kam, war Karl schon von seinem Morgenspaziergang nach Ronco zurück, mit Brot, Milch, Obst und Käse und allem, was sie sonst brauchten. Er liebte diese Spaziergänge, auf denen er durch die nähere Umgebung streifte. Manchmal fand er schon die ersten, noch unreifen Brombeeren. Sie glänzten feucht und hellrot, aber ihre Dornen rissen ihm die Hände auf, wenn er sie pflücken und probieren wollte.
Einmal war Giovanni von Ascona heraufgekommen, um zu schauen, wie sie zurechtkamen. Viola fragte ihn, was es mit dem länglichen Paket auf sich habe, das sie bei den Essensvorräten gefunden hatte. »Sono i spaghetti!«,lachte Giovanni aus vollem Hals und erklärte Theo auf Italienisch, wie man sie kochte. Seitdem widmete sich Viola mit Hingabe dem Spaghettikochen, auch wenn das nicht immer Karls und Theos Begeisterung hervorrief. »Ihr Spießbürger und Langweiler«, schimpfte sie.
Eines Tages machte es »plupp«, und die Gas-Bombola, die den kleinen Kocher speiste, war leer.
Karl begann wieder zu zeichnen, seit seiner Jugend hatte er das nicht mehr getan. Er saß mit dem Zeichenblock auf den Granitstufen der Treppe oder unter dem Schattendach der Pergola und machte Bleistiftskizzen. Manchmal setzte sich Viola zu ihm und las. Dann zeichnete er sie, ohne es sie merken zu lassen.
Die Zeit rieselte wie Sand in einer Sanduhr, lautlos, und zuerst unmerklich.
Das Glück war eine Libelle mit blaugrünen Flügeln, die sirrend in der Luft stand, war die reife Tomate, die Viola in Achtel schnitt und Stück für Stück sich und den anderen in den Mund schob, waren die von Saft tropfenden Pfirsiche, die Karls Hemd verkleckerten. Das Schatten spendende Weinlaub der Pergola war Glück, das Brummen der dicken, vor Hitze taumelnden Fliegen, das Sonnenbad der Eidechsen und die Kühle im alten Steinhaus. Das Glück schwamm im Wein, war eingebacken in die Kruste des frischen Brotes
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