Bronzeschatten
plötzlich ein Mann erschien. Er glaubte offensichtlich, sie habe nur auf ihn gewartet, und ich dachte das auch. Also blieb ich, um zu sehen, wer es war.
Ich kannte ihn nicht. Aber nachdem ich das festgestellt hatte, blieb ich trotzdem, weil Helena Justina mir ganz den Eindruck machte, als kenne sie ihn ebensowenig.
L
Er tauchte aus einem Hibiskusgebüsch auf, als habe er etwas getrieben, wovon eine wohlerzogene Dame besser nichts wissen sollte. Er war betrunken genug, Helena als willkommene Erscheinung zu begrüßen, und nicht so betrunken, daß ihre frostige Reaktion ihn abgeschreckt hätte. Sie würde mit der Situation fertig werden; dieser torkelnde Lüstling war keine schlimmere Bedrohung als M. Didius Falco im Liebesrausch.
Ich drückte mich eng an eine Säule. Es dunkelte inzwischen, und so bemerkte keiner mich in meinem Versteck. Er sagte etwas, was ich nicht mitbekam, aber ihre Antwort war dafür um so deutlicher: »Nein. Ich sitze hier allein, weil ich das so will!«
Der Mann warf sich schwankend in Positur. Helena hätte sich schleunigst wieder unter die Gäste mischen sollen, aber sie war nun einmal ein eigensinniges Geschöpf; vielleicht schien ja auch der Bursche, mit dem sie wirklich hier verabredet war, ein kleines Risiko wert. Er redete wieder auf sie ein, aber sie blieb fest: »Nein! Bitte gehen Sie!«
Er lachte. Natürlich.
Da stand sie auf. Der schimmernde Stoff ihres Abendkleides fiel ebenmäßig und gerade von ihren Schulterspangen hernieder und betonte gerade dadurch die Kurven seiner Trägerin.
» Oh, ihr Götter! Ich habe Kopfweh.« Helena war wütend. »Ich habe Herzweh, der Lärm macht mich schwindelig, und vom Essen wird mir übel! Ich sitze hier, weil ich keine Gesellschaft will – und die Ihre schon gar nicht!«
Sie versuchte, an ihm vorbeizurauschen, unterschätzte aber seine Beweglichkeit. Er packte sie am Arm. Betrunken oder nicht, er war flink; seine andere Hand grapschte ihr brutal unters Kleid, als ich mit einem Schrei über das niedrige Mäuerchen zwischen den Säulen setzte, das uns trennte. Ich packte ihn bei den Schultern und zerrte ihn weg.
Zwei Köpfe prallten zusammen; einer davon gehörte mir. Mein Gegner war ziemlich sportlich; er erholte sich unerwartet rasch von seinem Rausch und landete ein paar gut gezielte Schläge. Der Ingwer stieß mir auf, doch ich war so wütend, daß ich kaum etwas davon spürte. Als seine Zielsicherheit nachließ, nahm ich ihn in die Zange und landete ein paar unbarmherzige Schwinger auf genau die Körperteile, die mein Trainer immer geschont sehen wollte. Anschließend schleifte ich ihn zu einem Brunnen.
Noch ehe er ernsthaft ertrinken konnte, warnte Helena: »Hör auf, Falco! Du bringst ihn ja um!«
Also tauchte ich ihn ein paarmal unter und ließ es dann gut sein.
Ich zerrte ihn durch die Kolonnade zum Hauptausgang und trat ihm unterwegs ein paarmal kräftig mit meiner Festtagssandale ins Kreuz; zuletzt so heftig, daß er der Länge nach hinfiel. Ich wartete, bis er sich wieder aufgerappelt hatte, dann machte ich kehrt und lief zu Helena zurück.
»Warum bist du hier rumgeschlichen?« fragte sie zum Dank für ihre Rettung.
»Purer Zufall.«
»Du sollst mir gefälligst nicht nachspionieren!«
»Erwarte nicht, daß ich tatenlos zusehe, wie man dich überfällt!«
Sie saß auf dem Brunnenrand und hatte schützend die Arme um die Knie geschlungen. Ich strich ihr über die Wange, doch sie zuckte zurück.
»Wenn du immer noch hier draußen sitzen möchtest, halte ich Wache.«
»Hat er dir weh getan?« fragte sie.
»Nicht so sehr wie ich ihm.« Ihre Miene verdüsterte sich. »Er hat dich durcheinander gebracht. Du solltest jetzt nicht allein sein.« Sie fluchte. Ich biß mir auf die Lippe. »Entschuldige, es ist mir nur so rausgerutscht. Ich hab ja gehört, was du gesagt hast …«
Dann flüsterte Helena Justina etwas, was wie mein Name klang, griff nach der Hand, vor der sie eben noch zurückgeschreckt war, und schmiegte ihr Gesicht daran. »Marcus, Marcus, ich habe nur nach einem ruhigen Fleckchen gesucht, wo ich ungestört nachdenken könnte.«
»Über was denn?«
»Alles, was ich anfange, geht schief. Was ich mir auch wünsche, es geht nie in Erfüllung …«
Während ich noch nach einer Antwort suchte, blickte sie plötzlich auf. »Verzeih mir …« Sie hielt meine Hand fest, damit ich nicht davonlaufen konnte, fragte aber unvermittelt in ihrer gewohnten Stimme, so als ob nichts geschehen wäre: »Wie kommst du mit
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