Bronzeschatten
Seine linke Braue hob sich spöttisch. »Bleibt die Frage, Marcus Didius Falco, wo wir dich einordnen sollen.«
»Ich begleiche bloß meine alte Rechnung mit Pertinax!«
Anacrites konnte sich nicht dazu durchringen, mir zu vertrauen; kluges Kerlchen. Daß ich ihm ebenso wenig traute, versteht sich wohl von selbst.
Als er an diesem Abend die Villa verließ, entrollte ich meine verknitterte Toga und schloß mich ihm an. Wir brachen sehr leise auf, um den schlafenden Momus nicht zu wecken.
VII
Eine laue Maiennacht in Rom. Wir blieben auf der Schwelle stehen und schnupperten die linde Luft. Über den Zwillingsgipfeln des Kapitols funkelte ein Meer winziger Sterne. Es roch nach farcierter Wurst, und plötzlich bekam ich Bärenhunger. In weiter Ferne erklang Musik, und unbekümmertes Männerlachen erfüllte die Luft.
Anacrites und ich gingen, um unwillkommenes Nachtgelichter abzuschrecken, forschen Schritts den Vicus Longus hinunter. Rechts am Forum vorbei kamen wir über den Clivus Victoriae zum Palatin. Die Prunkgemächer waren noch hell erleuchtet, obwohl das Bankett, das der Kaiser oder seine Söhne gegeben haben mochten, bestimmt schon zu Ende war; unsere penible neue Dynastie achtete streng auf Etikette.
Am Cryptoporticus, Neros prunkvoller Eingangsgalerie, ließen uns die Prätorianer mit flüchtigem Nicken passieren. Wir gingen hinauf. Die ersten, denen wir begegneten, und die letzten, mit denen ich zusammentreffen wollte, waren der Senator Camillus Verus und seine Tochter Helena.
Ich schluckte nervös; Anacrites lächelte verständnisvoll (der Mistkerl!) und verkrümelte sich eilends.
Der Senator sah aus wie frisch gebügelt. Ich zwinkerte seiner Tochter innig zu, obwohl er dabeistand; sie schenkte mir ein mattes, eher gequältes Lächeln. Markantes Gesicht und ebensolcher Charakter: ein Mädchen, mit dem man sich überall sehen lassen konnte – solange die Gastgeber es nicht übelnahmen, wenn ihnen jemand rundheraus erklärte, was mit ihrem Leben nicht in Ordnung sei. Helena trug strenges Grau; der schwere, mit Volants besetzte bodenlange Saum ihres Kleides zeigte, daß sie verheiratet gewesen war; auf dem dunklen Haar saß ein spitz zulaufendes, schlichtes Golddiadem. Die Schriftrolle, die Camillus unter dem Arm trug, verriet mir, daß die beiden gekommen waren, dem Kaiser ein Gesuch zu unterbreiten, und ich ahnte auch, worum es sich dabei handelte: Camillus Verus war ein treuer Anhänger Vespasians; er hatte einen Bruder gehabt, auf den das ganz und gar nicht zutraf. Dieser Bruder konspirierte vielmehr gegen die neue Dynastie der Flavier; er wurde entlarvt, gerichtet und dort liegengelassen, wo er den Tod gefunden hatte. Ich hatte mich schon gefragt, wie lange der Senator brauchen würde, um sich zu der Einsicht durchzuringen, daß er für die Seele seines Bruders verantwortlich war. Jetzt wußte ich es: elf Tage. Er war gekommen, Vespasian um den Leichnam aus dem Lagerhaus zu bitten.
Helena stupste ihren Vater an, und ich hörte sie sagen: »Falco kommt wie gerufen. Er wird für uns herausfinden …«
Die Gemahlin des Senators war ihrem Mann eine gute Frau, aber ich verstand sehr gut, warum er heute seine Tochter mitgebracht hatte. Unter der Zurückhaltung, die sie in der Öffentlichkeit zeigte, war Helena Justina sehr praktisch und couragiert. Zum Glück war sie in Gedanken immer noch bei ihrer Audienz im Thronsaal und reagierte daher kaum auf unsere Begegnung. Ihr Vater erklärte, was sie hergeführt hatte; er klagte, der Kaiser mache Schwierigkeiten (kein Wunder); dann mischte Helena sich ein: Ich solle den Fall übernehmen!
»Das läßt sich aber schlecht mit meiner Arbeit für den Palast vereinbaren …«
»Seit wann haben Sie denn solche Hemmungen?« unterbrach Camillus angriffslustig. Ich grinste nur, ohne näher auf ihr Angebot einzugehen.
»Senator, gesetzt den Fall, ein Trupp Prätorianer außer Dienst hätte ihren Bruder ins ewige Vergessen befördert – wollen Sie dann wirklich darüber Bescheid wissen?«
Helenas Schweigen verhieß nichts Gutes. Besonders für einen gewissen Jemand nicht; ich konnte mir denken, für wen. Ich versuchte, mich nicht an die unerquicklichen Einzelheiten der Hadesfahrt ihres Onkels zu erinnern. Vielleicht konnte sie ja Gedanken lesen.
Ich schützte dringende Geschäfte anderswo vor, aber Camillus bat mich, bei Helena zu bleiben, bis er eine Sänfte gefunden habe. Damit eilte er davon.
Wir beide standen in einem dieser Palastkorridore, die fast so
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