Bronzeschatten
abgeschlossen …« Petronius Longus las in meinem Gesicht, daß ich diese Frage nicht ohne Grund gestellt hatte, und wandte sich seufzend wieder dem Tempel zu.
Wir waren machtlos. Selbst wenn seine Männer die beschlagene Doppeltür mit einem Rammbock aufbrechen würden, konnte das Innere des Tempels jeden Augenblick in einem Feuerball explodieren. Schon schlugen Flammen aus dem Dach. Schwarzer stinkender Rauch zog zum Fluß hinunter. Hier draußen auf der Gasse ließ die flimmernde Hitze unsere Gesichter durchsichtig wie Glas erscheinen. Das Inferno im Inneren konnte keiner überleben.
Die Türen standen noch und waren noch verschlossen, als das Dach einstürzte.
Irgend jemand spürte endlich die Feuerwehr in einem Imbißstand auf, und sie retteten wenigstens das ausgebrannte Gerippe des Tempels. Dafür mußten sie zuerst einen Brunnen finden, der in Betrieb war, und als sie den hatten, gingen sie wie üblich schrecklich tollpatschig zu Werke. Petronius hatte die meisten Schaulustigen verjagt, aber ein paar arme Kerle, auf die daheim ein zänkisches Weib wartete, standen noch herum, weil sie hier wenigstens ihren Frieden hatten. Wir schlugen Greifhaken in einen Türflügel und rissen die verkohlten Bohlen mit ohrenbetäubendem Kreischen heraus. Ein erstarrter, vermutlich menschlicher Torso lag zusammengekrümmt gleich jenseits der Schwelle. Ein Priester, der eben gekommen war, sagte uns, das geschmolzene Amulett, das am Brustbein klebte, sehe ungefähr so aus wie das von Curtius Longinus, dem Verschwörer, den Vespasian zurückbeordert hatte.
Longinus war sein Hausgast. Der Priester hatte vor ein paar Stunden mit ihm zu Abend gegessen; als er sich jetzt abwandte, war er ganz grün im Gesicht.
Petronius Longus warf einen Ledervorhang über den verkohlten Fleischklumpen. Er begann mit den Verhören, während ich mich umsah. »Ist es üblich, daß die Tempeltüren des Nachts verschlossen sind?« fragte er.
»Warum sollten wir abschließen?« Der Priester des Herkules hatte einen vollen, schwarzen Bart; er war schätzungsweise zehn Jahre älter als wir, wirkte aber massiv wie eine Zitadelle. »Wir sind schließlich nicht der Tempel des Jupiter, der vollgestopft ist mit erbeuteten Schätzen, oder der Tempel des Saturn mit seiner legendären Sammlung. Manche Heiligtümer müssen bei Einbruch der Dunkelheit gesichert werden, damit sich keine Landstreicher einschleichen, aber bei uns, Hauptmann, ist das nicht üblich.«
Ich konnte mir denken, warum. Abgesehen davon, daß der barsche alte Herkules Gaditanus vermutlich was übrig hatte für Landstreicher, gab es kein bequemes Schlafplätzchen in diesem Tempel und schon gar nichts zu stehlen. Das backsteingemauerte Gelaß war kaum größer als die Vorratskammer in einem Bauernhaus.
Die Terrakottafigur des Gottes, die unter dem Gewicht niederprasselnder Dachziegel umgefallen war, paßte gut hierher, wo alles irgendwie zusammengeschustert war. Selbst der Priester hatte den hungrigen Blick eines Mannes, der in einem Armenviertel arbeitet und sich den ganzen Tag mit hirngeschädigten Boxern herumplagen muß. Sein orientalisches Gesicht unter dem Bart war hübsch; er hatte große, traurige Augen, die zu wissen schienen, daß sein Gott zwar beliebt war, aber nicht ernst genommen wurde.
»Wer hatte Dienst im Tempel?« fragte Petronius weiter. Er wirkte erschöpft; der Anblick des Toten war ihm an die Nieren gegangen. »Wußten Sie, daß dieser Mann hier war?«
»Ich hatte Dienst«, bekannte der Priester. »Curtius Longinus hätte morgen eine Audienz beim Kaiser gehabt. Er betete im Tempel, um sich zu sammeln …«
»Um was ging es denn da?«
»Fragen Sie den Kaiser!« fuhr der Priester ihn an.
»Wer hat den Schlüssel zum Tempel?« unterbrach ich mit einem prüfenden Blick auf die kläglichen Überreste des Heiligtums.
»Der hängt immer an einem Haken neben dem Eingang.«
»Jetzt nicht mehr!« korrigierte Petronius ärgerlich.
Richtig: Der Haken war da, aber leer.
Der Priester blickte hilflos auf die rauchenden Trümmer. Noch immer sprangen Funken zwischen den Rissen in der Ausmauerung der Innenwände empor. Er wollte den Schaden nicht in Augenschein nehmen, solange Petronius und ich dabei waren.
»Ich muß seinem Bruder schreiben …«
»Nein, das werden Sie nicht tun!« befahl ich. »Der Kaiser wird Curtius Gordianus benachrichtigen.«
Der Priester wandte sich zum Gehen, und ich würde ihn begleiten. Ich nickte Petro zu, dem mein eiliger Aufbruch nicht paßte.
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